Schwimmendes Grandhotel

Auf Traumreise mit dem „Doppelschrauben-Schnelldampfer „Augusta Victoria“: Zwei professionelle Fotografen haben die Kreuzzüge der Lustflotte werbewirksam im Bild festgehalten  ■ Von Werner Trapp

Das Angebot klang geradezu revolutionär: eine „Excursion nach dem Mittelmeer und dem Orient“, persönlich geleitet von Albert Ballin, dem Direktor der „Hamburg- Amerikanischen-Packetfahrt-Actiengesellschaft“ (Hapag). Das Unternehmen war denn auch ausgebucht, lange bevor der „Doppelschrauben-Schnelldampfer Augusta Victoria“ am 21. Januar des Jahres 1891 in Cuxhaven die Leinen loswarf. 174 wohlsituierte Herren sowie 67 nicht weniger betuchte Damen an Bord fieberten einem Erlebnis entgegen, das bis dahin nirgendwo zu haben war – der weltweit ersten Kreuzfahrt zur See überhaupt. Kurz zuvor hatte die Hapag mit Schiffen wie der „Augusta Victoria“ die Ära des Luxus auf See eröffnet – schwimmenden Grandhotels, die nichts vom auf dem Festland gebotenen „Culturraffinement“ vermissen ließen. Doch für den Dienst auf dem rauhen Nordatlantik erwiesen sich diese Rokokopaläste mit „ihren ruhelos schwingenden Rundstukkaturen, der lückenlosen Dekoration alles Dekorierbaren, namentlich der Überfülle der Spiegel“ als eher untauglich.

Völlig neu erschien da der Gedanke, die im Winter nutzlos auf Reede liegenden Riesen für Reisen in ruhigere Gefilde zu nutzen – Reisen, die nicht mehr die Erreichung eines Ziels, sondern Bildung und Vergnügen selbst zum Mittelpunkt machten: Mit seinem Programm für eine „Fahrt zu den Stätten ältester Cultur“ hatte Ballin die erste „Traumreise“ der Welt konzipiert – an den Erfolg glaubte außer ihm selbst fast niemand. Doch das Echo beim Publikum zeigte, daß solche „Excursionen“ ganz offenbar hervorragend geeignet waren, das Bedürfnis der deutschen Oberschichten nach statusbewußtem Luxuskonsum wie deren Begeisterung für alles Maritime zu befriedigen. Sorgte doch der „Rahmen“ für gesellschaftliche Exklusivität von A bis Z: Wer konnte sich schon für volle zwei Monate schadlos von zu Hause absentieren oder gar 2.700 Goldmark für eine Luxuskabine hinblättern – 30 Monatslöhne eines gewöhnlichen Heizers an Bord?

Fast über Nacht wurden „Vergnügungsreisen zur See“ en vogue: Schon drei Jahre später startete ein Hapag-Dampfer zur ersten „Nordlandreise“, und kurz nach der Jahrhundertwende warben lithographierte Plakate für „Lustreisen“ in alle Welt – zum Nordkap und nach Spitzbergen, nach Westindien wie nach Japan. Besonders die „Nordlandfahrten“ avancierten bei den Begüterten im kaiserlichen Deutschland zum letzten Schrei, reiste man doch hier gleichsam im Kielwasser des verehrten Monarchen. Dieser selbst pflegte allsommerlich mit seiner Dampfyacht „Hohenzollern“ in nordischen Fjorden zu wassern und ließ sich mitunter sogar herab, persönlich an Bord zu kommen, um seine kreuzfahrenden Untertanen mit einem „Toast“ zu beglücken.

„Moderne Reclame“ brachte das Geschäft vollends auf Touren. Mit den Hamburgern Johann und Heinrich Hamann engagierte Ballin zwei professionelle Fotografen, die die Kreuzzüge seiner Lustflotte werbewirksam im Bild festhalten sollten. Deren Aufnahmen verschönerten fortan die Prospekte des Unternehmens und füllten die „Kaiserpanoramen“ der großen Städte, wo sie auch dem gemeinen Volk Ausblicke in die weite Welt eröffneten.

Eine Auswahl aus dem über viertausend Aufnahmen zählenden Hamann-Archiv hat nun der Hamburger Christians-Verlag publiziert – Bilder aus der Zeit der gerade beginnenden „touristischen Landnahme“: Sie zeigen deutsche Nobeltouristen, mit der „Prinz- Heinrich-Mütze“ auf dem Haupt, die unbekümmert die Fahne Schwarzweißrot auf dem damals „herrenlosen“ Spitzbergen pflanzen, mit einem Beiboot einen entlegenen Fjord erkunden oder neugierig rachitische Kinder und Packpferde während einer Landpartie in Island beäugen. Die „Lust- Yacht“ ist meist diskret im Hintergrund plaziert – ein Hinweis auf das Verkehrsmittel, das solche Eroberungen ermöglichte.

Heute wirken diese Bilder aus den Anfängen touristischer Werbefotografie wie ein Verzeichnis der „Seh-Süchte“ des zeitgenössischen Publikums: Das „Auge des Touristen“ goutierte „unberührte“ Landschaft, die „geheimnisvolle Exotik“ des Orients, die zur Pittoreske verklärte Armut und Mühsal der Einheimischen. Vater und Sohn Hamann hatten die keineswegs einfache Aufgabe, solche Traumwelten mit den damals gebotenen Mitteln der Fotografie zu inszenieren.

Gut einhundert Jahre später werden ihre Aufnahmen neu entdeckt – als beredte Fundstücke zu einer Archäologie des frühen touristischen Blicks.

„Traumreisen: Kreuzfahrt-,Excursionen‘ von Hamburg in die Welt in den Jahren 1891–1914“, Verlag Christians, Hamburg 1995, 80 Seiten mit 55 Schwarzweißfotografien in Duplex, 64 DM