Vertrauen in die Findlinge!

■ Bremerhavens Schulhöfe schmückt neuerdings dank Gartenbauamt viel Grün, Holz und Stein: „Natur macht Schule“ heißt das Projekt, „Pause macht Spaß“ die Devise

Der nachweislich flachen Stadt Bremerhaven sind Hügel gewachsen. Und es sollen noch mehr werden. An ihren Hängen sprießt das erste Grün, „Findlinge“ (Natursteinbrocken) schmiegen sich an. Hölzerne Hängebrücken umspannen die dazwischenliegenden Täler. Ein importierter Erlebnispark aus der Schweiz? Nein, umgestaltete Schulhöfe. Ihr Spiritus rector spricht von „viel neuer Sinnes- und Körpererfahrung“.

Er ist Landschaftsarchitekt beim Bremerhavener Gartenbauamt. Seit 1990 lockt Thomas Reinicke von dort mit einem innovativen Service: „Natur macht Schule“. Reinicke plant mit den Schulen sinnvolle Höfe, die ABM-Kolonne des Gartenbauamts reißt die alten Asphaltdecken ab, schüttet auf – SchülerInnen, LehrerInnen, Eltern bauen, bepflanzen, pflegen. Innovativ ist das insofern, als die Schulen plötzlich von ihren Betonflächen weg-, hin zu kindgerechtem, ökologischen Areal denken sollen. Reinicke meint dazu streng: „Wir starten nur die Initialzündung.“

Anspringen müssen die Schulen selbst. 35 derselben gibt es in Bremerhaven. Mit 22, 23 habe man „schon irgendwas gemacht“, sagt Reinicke: Zum Beispiel in der Veernschule/ Primarstufe/ 300 Kinder/ an einer Haupteinfallstraße die Gunst der Stunde genutzt. Eine Hofsanierung stand an, Reinicke rief die Schulhofplanungsgruppe ins Leben. Die Mädchen wünschten sich was zum Balancieren, die Jungs was zum Klettern, alle wollten Grün. Zwei Drittel der 1.000 Quadratmeter Asphaltdecke wichen einem Sand-Lehm-Gemisch, das angewalzt wurde. Neue Bäume – Rotdorne – markieren den entstandenen Spiel-Kreis, Klettergerüste aus Robinienholz umsäumen eine Bretterplattform, den „Treffpunkt“ oder die „Bühne“. Eine Hügelkette bricht den Lärm von der Straße.

„Dieser Hof hat den Schulalltag verändert“, sagt Planer Reinicke und gebraucht den Begriff der „interdisziplinären Wirkung“. Zufriedene Kinder seien doch netter im Unterricht. Zuvor wären sie auf dem Asphalt gegrillt und selbstredend aggressiv geworden. Nun dagegen könnten sie sich auf den Hügeln und den Türmchen „als Könige der Welt fühlen“. Die Pausenunfälle würden weniger. Und selbst der skeptische Herr vom Gemeindeunfallvericherungsverband, dem zunächst die Findlinge ein Dorn im Auge waren, sei fröhlich übers Gelände gehopst. Reinicke weiß schon, wo die Grenze des ganzen Abenteuers ist: „Wir trauen den Kindern mehr zu, wir bieten ihnen gleichzeitig ein überschaubares, abschätzbares Risiko.“

Die Schulen selbst sind schmutziger geworden. Ein Aufschrei ging durch die Räume am ersten Erlebnistag auf dem neuen ockerfarbenen wassergebundenen Belag, Grandex. Die Kiddies hatten gelbe T-Shirts, die Putzdamen rebellierten. Auch die abfärbenden Eichenstämme verursachten viel Igittigitt. Jetzt haben sich die Erhitzten wieder beruhigt, die LehrerInnen sitzen viermal im Jahr bei den Fortbildungen vom Arbeitskreis „Lern- und Spielraum Schulgelände“.

Rund 1,2 Millionen Mark hat „Natur macht Schule“ bislang verschluckt – das waren Lottomittel und Finanzspritzen von der Stiftung Wohnliche Stadt. Die Johann-Gutenberg-Schule/ Sekundarstufe bekam für 12.000 Mark eine Skateanlage. „Aber von solchen Dingen haben wir Abstand genommen“, sagt Thomas Reinicke und schwärmt von den Nullversionen auf gleichem Hofgelände: Die skurrile Kletterformation auf Waldboden, das heißt 20 Zentimeter falldämpfendem Rindenmulch. „Die Eichenstämme haben wir im Winter im Forst geholt, die sind unkaputtbar. Und die Kids können sie beschnitzen, wenn sie es schaffen.“ Zielgerichtet geschnitzt wurde das Dino-Baby ein paar Schritte weiter. Daneben liegen Dino-Eier (Findlinge?). Giftgrüne Dino-Spuren sind in den verbliebenen Asphalt geschlagen. „So ein Thema kommt auch mal ganz gut“, so der Landschaftsarchitekt.

Reinicke holt sich seine Ideen von den eigenen Kindern oder den SchülerInnen. Jedesmal gibt es unter ihnen eine Befragung, „wir legen Wert auf spleenige Ideen“. Eine Hollywoodschaukel, Swimmingpool oder Sauna muß er ja leider ablehnen, wippende Bänke, eine Hängematte aus „heavy metal“ oder die Catch-Anlage sind aber drin. Streetballkörbe sind sowieso ein Muß, plus Sitzmöglichkeiten für die Fans.

Wohin „Natur macht Schule“ im besten Fall führen kann, wissen die AnwohnerInnen der Pestalozzischule in Bremerhaven-Mitte. Sie haben jetzt einen 4.000 Quadratmeter großen Park in der Nachbarschaft. 400 Kubikmeter Boden wurde zur neuen Hügellandschaft angefahren, ein Bagger hat grundmodelliert, die SchülerInnen arbeiteten Dellen ein. Pfiffiges Spielgerät, verankerte Kreisel und Drehscheiben; inklusive dem liegengelassenen kranken Weidenstamm hat alles 25.000 Mark gekostet. Der zugewucherte Schulgarten nebenan „ist die absolute Idylle mitten in der Stadt“, sagt Reinicke. „Wissen Sie, warum ich Ihnen das alles zeige? Vielleicht könnte ja auch Bremen etwas in der Richtung tun. Es wäre bitter nötig.“ sip