■ Nebensachen aus Rio de Janeiro
: Mein wunderbarer Bruchsalon

Zehntausend Dollar – das hört sich gut an. Dafür müßte man in der „Dritten Welt“ doch eigentlich eine Wohnung bekommen. Das jedenfalls dachte sich die Hausangestellte Roseane de Oliveira Queiroz. Zur Zeit zahlt sie für ein zehn Quadratmeter großes Zimmer mit Gemeinschaftsklo umgerechnet 200 Mark Miete. Den horrenden Mietzins teilt sie sich mit ihrem Lebensgefährten. Ihr siebenjähriger Sohn Anderson greift in regelmäßigen Abständen den Kühlschrank an, ein Baby ist unterwegs.

Nach ersten Telefongesprächen mit Immobilienmaklern fühlte sich Roseane plötzlich vermögend. Die euphemistische Anrede „Fräulein Sekretärin“ verschwand zugunsten von „Madame“, ja sogar „Frau Doktor“. Die Objekte ihrer Begierde waren der schmeichelhaften Anrede allerdings weniger angemessen. „Madame“ wurde zugemutet, ein halbfertiges Stockwerk mit einer Ladung vorhandener Zementsäcke in Eigenarbeit fertigzustellen. Auch in eine ausgediente Kirche, ein Holzhäuschen inmitten einer von Überschwemmungen gezeichneten Sozialsiedlung, hätte sie ziehen können.

Zu vergeben war auch noch eine kleine Wohnung in einem tristen Plattenbau, ganz in der Nähe des größten Einkaufszentrums von ganz Lateinamerika, „Barra Shopping“. Aus Angst vor den liebenswürdigen Nachbarn, die sich jedes Wochenende am gegenüberliegenden Kiosk mit Zuckerrohrschnaps vollaufen lassen, war das Apartment im Erdgeschoß komplett vergittert. Drinnen hatte langjähriges Durchsickern undichter Wasserleitungen die Zementwände mit grünem Schimmel tapeziert. In Rios Armenvierteln, genannt „Favelas“, gab es natürlich auch jede Menge Auswahl. Ein Häuschen oben auf dem Hügel, ohne Fenster oder Belüftung, dafür aber mit offener Tür, für schlappe 8.000 Dollar.

Leider ist es zuweilen schwierig, eine solche Immobilie in Ruhe in Augenschein zu nehmen. In Rios größter Favela „Rocinha“ geriet „Madame“ Roseane beim Treppensteigen in den Kugelhagel rivalisierender Drogenhändler. Doch dies, beteuerte Anwohnerchef Jorge Mamao, kommt wirklich äußerst selten vor. Eigentlich hat eine Hütte in der „Rocinha“ Vorteile: Die Favela liegt mitten in der vornehmen Südzone von Rio, wo die Mehrheit der Hausangestellten arbeitet. Und es gibt kaum Nebenkosten. Nur eine bescheidene Stromrechnung flattert den „Rocinha“-Bewohnern monatlich ins Haus. Wasser ist umsonst.

Am vergangenen Freitag war es nun also endlich soweit. In einem Anwaltsbüro unterschrieb die mittlerweile hochschwangere Hausangestellte, eigentlich Grundschullehrerin, die frisch angefertigte Besitzurkunde. Die nächsten dreizehn Jahre muß sie nun an die „Caixa Economica Federal“ – Brasiliens Staatsbank, die den sozialen Wohnungsbau finanziert – umgerechnet 70 Mark Monatsrate überweisen. Als nach eineinhalb Stunden alle juristischen Details geklärt waren, fragte sie den Verkäufer nach dem Wohnungsschlüssel. Den hatte der alte Besitzer vor lauter Aufregung natürlich zu Hause vergessen. Aber das wäre ja für 10.000 Dollar auch zuviel verlangt. Astrid Prange