: Ein Vorgeschmack auf Cybersex
■ Doppelausstellung auf KX: Gabriele Leidloffs Röntgen- und Johannes Seebaas' Rigipskunst
Rigips und Röntgen: nur die Kunst bringt das in einer Ausstellung zusammen. Während Gabriele Leidloff Kiloampere und Mikrovolt nutzt, um künstliche Körper zu durchleuchten und zu merkwürdigen, technoiden Stilleben gelangt, verwandelt Johannes Seebaas rohe Rigips- und Farmacellplatten zu malerischen Bildobjekten. Beiden gemeinsam ist die künstlerische Erforschung im weiteren Sinne alltäglicher Techniken.
Vierzig Kilo schwere Einbauplatten auf der Wand irritieren in ihrem Anspruch, selbst Bild zu sein. Erst einmal demonstrieren sie ganz puristisch ihre eigene Struktur und verweisen auf den Aufbau der Wand, an der sie hängen. Doch nicht der Blick einer Baufachschule hinter die Tapete ist Anliegen dieser Kunst. Tatsächlich bauen sich aus flüchtig verspachtelten Fugen Proportionen auf. Zusammen mit den Rissen und in den Abstufungen der industriell gewählten Farben der Papierkaschierung entsteht eine halb informelle, halb minimale Malerei. Das Prinzip läßt sich auch auf die Plastik übertragen: fünf zu Kuben zusammenge-spachtelte kleine Platten zeigen nach ausdauerndem Abschleifen ein gebrochenes Farbspiel zwischen Kante und Fläche und beanspruchen auf ihren Präsentationssäulen eine traditionelle Existenz als Kunstwerk.
Auch Gabriele Leidloff arbeitet gegen den ursprünglichen Sinn ihres Werkzeugs. Sie verwendet die Hochenergiefotografie, die zum Einblick in den Körper entwickelt wurde, zur Abbildung von Außenansichten. In ihrer Mittagspause experimentiert sie mit dem ärztlichen Gerät, um Schaufenster- oder Pornopuppen abzubilden. Wie setzt man die inneren Verschraubungen einer Puppe ins Bild, wie bilden sich die Schweißnähte von Plastik ab, wie wird das Innenleben künstlicher Sexpartner sichtbar?
Durch Kippung des Röntgenstrahls läßt sich ein Schatten erzeugen, eine Perspektive wie in der optischen Fotografie ist nicht möglich. Dennoch gelingt es Gabriele Leidloff im abfotografierten Röntgenbild „Mann, 58“, die Oberfläche einer Gipsmaske fast wieder organisch erscheinen zu lassen, der amorphe Gips erhält bei dieser Technik die Ahnung einer scheinbar lebendigen Haut zurück.
Zeichenhaft wirken die An- und Durchsichten künstlicher Körper, die in zwei großen Installationen auf Leuchtkästen zusammengestellt sind. In einer der bläulich schimmernden Umrißzeichnungen sind eine Hand an der Brust und eine aufgeblätterte Vagina zu erkennen: im 100. Jahr nach seiner Erfindung bietet das Röntgenbild einen Vorgeschmack auf kalten, jenseitigen Cybersex. Hajo Schiff KX Kunst auf Kampnagel, Do-Sa, 16-20 Uhr, noch bis 6. Juli
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