Am liebsten Centerin

■ Heute noch beim Sportverein „Eiche“ in Horn, im August bei den „Paralympics“ in Atlanta: Christel Bettinger ist blind und Goalball-Nationalspielerin

Könnte sie sehen, würde sie Tennis spielen, sagt Christel Bettinger und blickt ihrem Gegenüber direkt in die Augen. „Nach den gesetzlichen Bestimmungen bin ich vollständig blind.“ Das hat sie nicht daran gehindert, Sport zu treiben. Den Erfolg hat es ihr auch nicht verwehrt. Zwar ist ihr Ziel nun nicht gerade Wimbledon, dafür im August aber Atlanta: Die Bremerin spielt bei den „Paralympics“, den Sommerspielen für behinderte Menschen, in der deutschen Goalball-Nationalmannschaft. „Das ist Leistungssport“, betont Christel Bettinger, blickt ein wenig in die Ferne und deutet mit den Händen auf dem Küchentisch eine rechteckige Fläche an: „Das Goalballfeld ist so groß wie ein Volleyballfeld. Wir sind jeweils zu dritt: eine Verteidigerin, zwei Angreiferinnen gehen in die Hocke, rollen den Ball wie beim Kegeln und spielen nach Gehör.“

Christel Bettinger ist eine jener SportlerInnen, die sagt: „Ich mache es für mein Leben gern. Man ist aktiv, bewegt sich und lernt so viel über sich selbst.“ Nachdem ihre Augenkrankheit wie vorauszusehen immer schlimmer wurde, wechselte sie vor sechs Jahren vom „Torball“ zum „Goalball“. Beim Goalball tragen alle MitspielerInnen – Blinde und Sehbehinderte – eine abgedunkelte Sehbrille. „Dann sind wir alle gleichberechtigt.“

Gespielt wird zwei mal sieben Minuten. Der Ball (hörbar durch eingebaute Glöckchen) muß ins 9 mal 1,30 Meter große Tor. „Das geht dann viel hoch, runter, hin und her, man wirft sich auf den Ball, und ich bin dabei am liebsten die Centerin.“ Christel Bettinger zieht die Beine auf den Küchenstuhl und erklärt: „Das ist die gedankliche Schaltstelle. Ich verteidige und dirigiere, und die anderen werfen die Tore.“ Vielleicht, sinniert sie weiter, erahne sie da doch manches mehr als ihre Mitspielerinnen. Sie habe es ja noch erlebt, sich im Raum wahrzunehmen. Früher, als sie noch mehr gesehen habe.

Goalball ist eine Sportart, die es für Frauen in Deutschland nicht gibt. Männerteams sind in fast jeder größeren Stadt, die Frauen dürfen bei ihnen mitmischen. Entsprechend sieht auch das Training von Christel Bettinger aus: Sie trainiert mit den Bremer Goalball-Männern in der Halle des Berufsbildungswerks und beim Verein Eiche/Horn. „Aber jedes Spiel würde ich mit den Herren nicht machen wollen. Die haben ziemlich viel Kraft, und wenn die den Ball rüberschießen und man kriegt den ab, dann ist mir das eine Nummer zu dicke.“

Leider spiele keiner der Bremer Männer im Kader der Nationalmannschaft. Und sie selbst müsse nun mal viel Kondition und spezielle Wurftechniken trainieren. Aber vielleicht profitierten ja die Männer auch ein wenig davon, sagt die Frau am Küchentisch und hat dabei einen Anflug von Ironie in ihren braunen Augen. Trainer Marc Schönfelder, der die Frauen-Nationalmannschaft führt, sitzt nun glücklicherweise auch in Bremen und stütze sie, wo er könne.

Zweimal Training pro Woche ist zur Zeit das offizielle Mindestmaß, um bestens präpariert in die Zielgerade nach Atlanta zu gehen. Christel Bettinger ist das noch nicht genug. Sie hat außerdem den Lauftreff in der Vahr entdeckt. „Der Oberlauftreffleiter war zwar sehr skeptisch und befürchtete, daß mir etwas passieren könnte. Sein Stellvertreter ist etwas mutiger. Wir beide laufen nun zusammen mit einem Haarband, an dem ich mich festhalten kann. Das klappt gut.“

Besser geht es der Goalball-Sportlerin mittlerweile auch mit dem Leben in der Hansestadt, obwohl die Straßenbahn hier so schrecklich leise sei und ihr Angst mache. Gebürtig vom Niederrhein, hatte sie in Berlin Sozialarbeit studiert. Zwölf Jahre land war ihr die Stadt an der Spree „zu groß und zu stinkig“. An der Weser – nun, es sei schrecklich schwierig, hier neue Leute kennenzulernen. „Ich kann ja nicht irgendwo hinstapfen. Kneipen sind mir zu verraucht, Discos zu laut.“ Zum Ersatz spielt Christel Bettinger nun Gitarre und Doppelkopf. Bremen hat aber auch schöne Seiten in ihren Augen: Extrem freundliche Autofahrer und viele kleine Läden, in denen sie die Leute am Regal um Hilfe bitten kann.

Schon blitzen diese Augen wieder: „Ich würde ja so gerne noch viel mehr alleine machen.“ Der Zwei-Zimmer-Single-Haushalt ist längst kein Problem mehr, die Beratungsarbeit beim Blindenverein ist in Ordnung, der Traum von der Stelle in einer Psychiatrie jedoch noch nicht begraben.

Daß die Goalball-Expertin frisch verliebt ist, soll an dieser Stelle verschwiegen werden. Sie will noch vieles in Eigenregie schaffen. Reisen. Die Tempel auf Bali sind schon entdeckt. Der Center Court in Sydney ebenfalls. Das Thema Tennis ist wieder im Raum. Christel Bettinger faxt sich zur Zeit die Finger wund. Sie korrespondiert seit ein paar Wochen mit dem U.S.Open-Ticket-Center in New York, um nach Atlanta dort einmal auf dem Boden zu stehen, auf dem dann auch die Tennis-Größen spielen. „Vom Spiel sehe ich ja nichts, aber die Schiedsrichter sind doch laut genug.“ sip