Krankenkassen bilden Front gegen Seehofer

■ Der Gesundheitsminister soll sich um 4,2 Milliarden Mark verrechnet haben

Berlin (taz) – Die Krankenkassen geben Gesundheitsminister Horst Seehofer contra. Sie halten die vergangene Woche vom Bundestag beschlossene Beitragssenkung um 0,4 Prozent im nächsten Januar für unmöglich. Allenfalls 3,3 Milliarden Mark – und damit 2 Prozent – könnten die Kassen durch die geplante Verringerung der Leistungen einsparen. Seehofer hatte hingegen 7,5 Milliarden Mark dafür veranschlagt, daß Jugendliche ihre dritten Zähne und Brillenträger ihre Sehhilfen selbst bezahlen müssen sowie Kuren und Medikamente für die Versicherten teurer werden. Der Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) wirft Seehofer vor, falsch gerechnet zu haben. Er habe beispielsweise nicht daran gedacht, daß bei einer Absenkung des Lohns im Krankheitsfall auch die Einnahmen der Krankenkassen sinken.

Bei den Krankenkassen sind schon jetzt massive Defizite aufgelaufen: 1995 hatten sie 7,5 Milliarden Mark zuwenig eingenommen, und auch in diesem Jahr müssen sie mit einem Minus rechnen. Denn im ersten Quartal stiegen die Ausgaben mit 2,7 Prozent im Westen und 5,1 Prozent im Osten bereits weit stärker als die Einnahmen, die in den alten Bundesländern um 1,8 Prozent und in den neuen um 2,5 Prozent zunahmen. Ursache dafür ist zum einen die hohe Arbeitslosigkeit. Aber auch die Honorare der ostdeutschen Mediziner und der Hausärzte schlagen höher zu Buche als zuvor.

Beitragserhöhungen sind dagegen vorläufig ausgeschlossen: Kassen, die bis zum 10. Mai keinen Antrag auf einen höheren Prozentsatz gestellt haben, müssen jetzt mit dem bisherigen Geld auskommen. Nach wie vor sind die Beitragssätze der Kassen sehr unterschiedlich: Während Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der Berliner AOK zusammen 14,5 Prozent bezahlen müssen, kommen sie bei der Betriebskrankenkasse Voith in Heidenheim beispielsweise mit 10,3 Prozent weg. Doch ab Januar dürfen die Versicherten die Kasse selbst wählen – es ist ein Run zu den Ersatzkassen zu erwarten. Das wird einige Versicherungen zusätzlich zur Beitragssenkung durch das Parlament in Bedrängnis bringen. Ute Winkler, Mitarbeiterin der Bündnisgrünen im Bundestag, vermutet deshalb baldige Beitragserhöhung: „Im Gesetz steht nur was von einer Senkung am 1. Januar. Was am 1. Februar passiert, ist nicht festgelegt.“ aje