Schlampig ermittelt

■ Lübecker Staats- anwaltschaft ratlos

Fast sechs Monate lang hielt die Lübecker Justiz eine der schrecklichsten Brandstiftungen für aufgeklärt. Der Täter schien gefunden, andere kamen gar nicht erst in Betracht, nur nach Beweisen und Motiven fahndete man mit zweifelhaftem Erfolg.

Seit gestern stehen die Ermittler mit erschreckend leeren Händen da. Der Libanese Safwan E., den die Staatsanwaltschaft verdächtigt, den grausamen Tod von zehn seiner Mitbewohner in der Lübecker Hafenstraße verschuldet zu haben, ist frei. Weil „durchgreifende Zweifel“ an seiner Täterschaft bestünden, stimmte eine Richterin seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft zu. Eine Freilassung ist kein Freispruch, genausowenig wie die kürzlich erhobene Anklage gegen Safwan E. bereits seine Verurteilung war. Aber schlampige Ermittlungen sind schlampige Ermittlungen und in einem Fall wie diesem ein unverzeihlicher Skandal. Die Ermittler wußten, was auf dem Spiel stand. Unter den Augen der internationalen Öffentlichkeit mußten sie eine Tat aufklären, die unter dem schrecklichen Verdacht stand, der bisher folgenschwerste ausländerfeindliche Überfall in Deutschland zu sein. Zahlreiche Experten wurden aufgeboten, Sorgfalt war gefragt, man wollte nicht noch einmal die Fehler begehen, die die Mordbrände von Mölln und Solingen zu quälenden Indizienprozessen mit wackeligem Ausgang machten – und man hat sie alle wiederholt. Diverse Spuren wurden nicht weiter verfolgt, Beweisstücke verschwanden, offenkundige Widersprüche blieben bis heute unaufgeklärt.

Bestärkt von den Medien und einer ums eigene schlechte Gewissen entlasteten Öffentlichkeit, haben die Ermittler schon unmittelbar nach der Brandnacht Entwarnung gegeben: keine ausländerfeindliche Mordtat, sondern eine Einzeltat, das Werk eines Ausländers, des einzigen Tatverdächtigen Safwan E.

Aus der Freilassung des jungen Libanesen nun das genaue Gegenteil zu schließen, wäre falsch. Naheliegend ist eher ein anderer Verdacht, und der wäre der schlimmste. Weil die Ermittler sich in eine Version verrannt haben, einseitig forschten und versäumten, anderen Spuren nachzugehen, wird die Brandnacht von Lübeck vielleicht nie aufgeklärt werden können. Vera Gaserow