Shakespeares Schwester auf CD-Rom

■ Die Stiftung Frauen–Literatur–Forschung geht an die Öffentlichkeit / Daten von 15.000 Schriftstellerinnen im Archiv

„Wissen Sie, wo Marion Titze wohnt?“ Nicht, daß die Frage indiskret gemeint wäre. Aber bei der Bremer Stifung „Frauen–Literatur–Forschung“ ist jedes Detail von Interesse. Und da man weiß, daß ich einst ein Portrait über die Bremer Literaturpreisträgerin aus Ostberlin verfaßt habe, könnte es doch sein... Jeder Fitzel wird recherchiert, denn die Datenbank mit 70.000 Angaben und 15.000 Namen setzt sich letztendlich aus genau dieser Sammelwut zusammen.

Detektivischer Ehrgeiz und nicht nachlassende Neugier waren für Marion Schulz auch der Motor, mit dem sie vor zehn Jahren das bibliographische Projekt in Schwung gebracht hat. Heute verfügt die „Stiftung Frauen–Literatur– Forschung“ über Räumlichkeiten an der Universität, zur Zeit zwölf ABM-Stellen für Recherchierende und mittlerweile ein überregionales Prestige.

„Ich habe micht schlicht geärgert und wollte es nicht glauben“ erinnert sich die Bibliothekarin Marion Schulz an die Anfänge ihrer Suche. “Das kann doch nicht wahr sein, daß so wenige Frauen so wenig geschrieben haben.“ Und sie begann zu suchen Natürlich gab es viel mehr schreibende Frauen. Natürlich haben „Shakespeares Schwestern“, wie die vergessenen Dichterinnen nach Virgina Woolfs Essay „Ein Zimmer für sich allein“ genannt werden, auch veröffentlicht. Nur wußte es keiner. Die Texte waren schlicht nicht wiederzufinden, in keinem Archiv verzeichnet.

„Männer haben ihre Vorbilder, und ihre Ahnengalerie. Das trägt entscheidend zur Indentitätsbildung bei. Für die feministische Germanistik war im Zug der Frauenwochen klar geworden: es galt den Bestand zu sichern „Darstellen und ausgraben was Frauen geleistet haben“ hieß die Devise. Die energische Marion Schulz hat sich dabei ein Projekt vorgenommen, das auch heute noch nicht erledigt ist. Wie wenig, das zeigte noch vor einigen Jahren der bundesweite Skandal um das „Funkkolleg Literatur“, das das 20. Jahrhundert ohne eine einzige Autorin repräsentieren wollte.

Auch wenn den Frauen klar ist, daß bei solchen Entscheidungen männliche Ignoranz der ausschlggebende Faktor ist, Aufklärung tut weiter not. Zu wenig ist bekannt über schreibende Frauen. So macht es auch Sinn, daß Marion Schulz in ihrer Datenbank ein reines Informationsinstrumentarium sieht und sich jeder künstlerischen Wertung enthält. Verzeichnet wird, jede Frau, auch wenn sie nur ein Gedicht in der „Bäckerblume“ veröffentlicht hat. „1945, das ist nicht nur ein historisches Datum, das ist der Zeitpunkt, seit dem unsere Mütter Texte veröffentlichen“, begründet die leidenschaftliche Forscherin. Man habe einfach die große Lücke gesehen und selbst die Rahmenbedingungen gesetzt: Weibliche Autorinnen, die belletristische Texte in Deutschland nach 1945 publiziert haben. Neben dem Zeitraum der Veröffentlichung, den man von der Nachkriegszeit mittlerweile bis an die Gegenwart herangeführt hat, wurde auch die Eigenleistung neu definiert. Keine Frage, findet es Marion Schulz mittlerweile, daß auch Übersetzerinnen in die Datenbank aufgenommen werden, schließlich käme es gerade darauf an, die zu berücksichtigen, die sonst oft unter den Tisch fallen. Nicht unter den Tisch fallen sollen in Zukunft auch die Autorinnen aus der DDR. Ursprünglich habe man die Literatur im anderen Teil Deutschlands ausklammern müssen, jetzt könne man das natürlich nicht mehr aufrecht erhalten. Der Osten muß nachgearbeitet werden.

„Es gibt nichts Vergleichbares“, weiß die Forscherin mittlerweile. Die Datenbank steht konkurrenzlos da. Anfragen aus dem Ausland bestätigen den Bedarf. Die Erkundigung nach Marion Titze stammt aus England, eine Studentin der Germanistik schreibt ihre Examensarbeit über die Ostberliner Autorin. Doch die Adresse von Frau Titze; noch sucht man sie vergebens.

Auch wenn noch manche Lücke zu beklagen ist, jetzt ist die Zeit reif . „Eine Datenbank kann erst öffentlich werden, wenn die Daten da sind.“ In den vergangenen Jahren wurde eine derartige Fülle an Material zusammengetragen, daß nun zum Geburtstag im Herbst eine CD-Rom auf den Mark kommen soll.

Susanne Raubold