Ein KZ wird modernisiert

Die Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Dachau soll ein „Lernort“ werden — mit neuem didaktischem Konzept und Tonbandführung für die „Knopfdruck-Generation“  ■ Von Anita Kugler

Ehemalige Häftlinge waren es, die 1955 darauf drängten, auf dem Gelände des Konzentrationslagers Dachau eine Mahn- und Gedenkstätte mit Museum einzurichten. Zehn Jahre später gab es sie – erkämpft gegen den erbitterten Widerstand des Landrats von Dachau und von Staatssekretären des Freistaats Bayern. Es war die erste Einrichtung dieser Art in Deutschland, und sie blieb unverändert bis zum heutigen Tag.

Die Ausstellung ist veraltet, „anachronistisch“ sagt Max Mannheimer, 76 Jahre. Er hat Auschwitz, Dachau und diverse Außenlager überlebt und engagiert sich seit zehn Jahren im Internationalen Dachau-Komitee (CID). „Für mich ist es kein Problem, Jugendlichen das Konzentrationslager zu erklären. Aber wir Zeitzeugen sterben aus. Unsere Berichte müssen jetzt ersetzt werden durch neue museumspädagogische Methoden.“ Die Zeichen dafür stehen gut.

Max Mannheimer ist gemeinsam mit den CID-Vertretern, Baron Arthur Haulot aus Belgien und Stanislaus Zamecnik aus Tschechien, Mitglied eines internationalen wissenschaftlichen Fachbeirats für die Umgestaltung der Mahn- und Gedenkstätte. Man arbeitete unter dem Vorsitz des Historikers Wolfgang Benz vom Berliner Institut für Antisemitismusforschung über ein Jahr lang an einer Neukonzeption. Vergangene Woche überreichte man dem bayerischen Kultusminister Hans Zehetmair (CSU) einen 19 Seiten langen Bericht.

Die Vorschläge sehen eine völlige Neugestaltung der Gedenkstätte, des Museums, des Außengeländes und der Linienführung des Rundweges vor. Sollten sie realisiert werden, wird der „authentische“ Ort wieder erkennbar sein, wird Dachau zur museumspädagogisch modernsten Gedenkstätte auf deutschem Boden.

Zu den wichtigsten Neuerungen würde gehören, daß die Besucher künftig nicht mehr durch den Hintereingang das Gelände betreten, sondern durch das ursprüngliche, teilweise wieder herzustellende Eingangstor. Es trägt die Aufschrift „Arbeit macht frei“. Bisher nicht genutzte wichtige Gebäude sollen zugänglich gemacht werden. Dazu gehören der von US- Behörden 1979 geräumte Westflügel des ehemaligen Wirtschaftsgebäudes, eine Baracke und Teile des ehemaligen Lagergefängnisses (Bunker). Alle müssen vorsichtig saniert, die Spuren späterer Nutzung aber nicht beseitigt werden. Hier sollen völlig neue Sonderausstellungen zu Teilaspekten, wie zum Beispiel das SS-Strafsystem und – für die ehemaligen Häftlinge sehr wichtig – das Thema „Solidarität und Widerstand“, ihren Platz finden. Vorgesehen ist auch eine Ausstellung zur Nachkriegsgeschichte des Lagers. Die Amerikaner nutzten es bis 1948 zur Unterbringung von Kriegsverbrechern, die Stadt später als „Auffanglager“ für sudetendeutsche Heimatvertriebene.

Wichtig ist dem Historiker Benz, daß bei den neu erschlossenen Gebäuden nur „unumgängliche Erhaltungsmaßnahmen“ eingeleitet und kein „Gedenkstättenpark“ eingerichtet wird. „Nichts was verschwunden ist, wird als Potemkinsches Dorf wiederaufgebaut.“ Dies findet Max Mannheimer völlig richtig. Die jetzige Konzeption biete die Gewähr, daß „alles so gezeigt werden könne, wie es damals war. Dafür tragen wir Überlebende die Verantwortung“.

Fast entschiedener als für die Erweiterung der Gedenkstätte engagiert sich Mannheimer aber für die Renovierung ihrer didaktischen Konzepte und für eine stärkere Betonung des internationalen Charakters des Lagers: „Weg von den allgemeinen Schautafeln, hin zu den Einzelschicksalen.“ Im Jahr 2000 würden Jugendliche nach Dachau kommen, deren Großeltern allenfalls noch einen lebensgeschichtlichen Bezug zum Nationalsozialismus hatten. Die Einleitungssätze im Expertenbericht kann er deshalb nur unterschreiben. Dort heißt es zu den Bedingungen künftiger Gedenkstättenarbeit: „Die Haltung der Befangenheit und Betroffenheit, die für viele Besucher das ehemalige KZ zum heiligen Ort machen, wird nicht mehr bestehen. Für Schüler wird es kein Tabu mehr sein zu fragen, ob hier wirklich Menschen ermordet worden sind.“

Das Lager muß deshalb, so wie die Kommission es vorschlägt, pädagogisch „modernisiert“, zu einem „Lernort deutscher Geschichte“ werden, dies alles „technisch auf dem allerneuesten Stand“, sagt Mannheimer. Denn: „Wir leben im Zeitalter des ICE und nicht mehr in der Zeit des Gogomobils.“ Die Schüler von morgen seien eine „Knopfdruck-Generation“. Wenn sie am Abend einen Science-fiction-Horror-Film gesehen haben, komme ihnen am nächsten Morgen das KZ „harmlos“ vor. Um sie, wenn die persönlichen Berichte der Zeitzeugen fehlen, „emotional anzurühren“, Impulse für eine Beschäftigung mit dem NS-System zu geben, müßten audiovisuelle Mittel wie individuell abrufbare Videointerviews von Überlebenden bereitgestellt werden. Auch die Idee, die Gruppenführungen – Max Mannheimer hat Aberhunderte von Schulklassen durch das Gelände geführt – durch „Akustikführungen“ (mit Kopfhörern) allmählich zu ersetzen, findet er „ausgezeichnet“.

Die Chancen, daß die Vorschläge der Expertenkommission realisiert werden, stehen gut. Der Freistaat hat für die Baumaßnahmen sechs Millionen Mark aus Privatisierungserlösen bereitsgestellt. Zudem sollen aus dem Etat des Kultusministeriums 1997/98 zwei zusätzliche Planstellen eingerichtet werden. Derzeit ist Dachau mit etwa 700.000 Besuchern pro Jahr die meistbesuchte Gedenkstätte in Deutschland. Zweieinhalb Stellen für Archiv, Bibliothek und Verwaltung sind dafür skandalös wenig.

Mit den jetzt vorgelegten Empfehlungen ist auch der jahrelange Streit zwischen verschiedenen Gruppen im Umfeld der Gedenkstätte zu Ende. Es war vor allem das CID, das sich in der Vergangenheit heftig wehrte, die 1965 erstrittene Ausstellung grundlegend zu verändern. Auf der Seite des CID stand auch Barbara Distel, die Leiterin der Gedenkstätte. Ihr Mißtrauen hat sich jetzt verflüchtigt. „Es ist ein gutes Maximalkonzept“, sagt sie. Allerdings würden die sechs Millionen Mark nicht reichen. Ein Architektengutachten habe ergeben, daß für die Wiederherstellung des „authentischen Ortes“ etwa der doppelte Betrag notwendig sei. Dennoch kündigte Minister Zehetmair an, daß die Baumaßnahmen „zügig“ begonnen werden sollen. Das Konzept müsse nur noch in der Öffentlichkeit diskutiert werden.

Dies allerdings könnte in Dachau alte Empfindlichkeiten aufrühren. Es gibt keine Stadt in Deutschland, deren Namen so eng mit einem Konzentrationslager verbunden ist. Mindestens die Hälfte der Alteingessenen wollen die Hypothek, die „KZ-Stadt“ überhaupt gewesen zu sein, loswerden. Aus diesem Grund wehrten sie sich in den 80iger Jahren höchst leidenschaftlich gegen die Einrichtung einer „internationalen Jugendbegegnungsstätte“. Der Grundstein für die Kompromißlösung, ein „staatliches Jugendgästehaus“, wurde erst in diesem März gelegt. Die jetzige Idee, aus „Dachau einen Lernort der Geschichte“ zu machen, könnte verstärken, was viele Einwohner offen sagen. Nämlich daß sie, die unschuldigen Einwohner von heute, die eigentlichen Opfer der Geschichte seien.