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Zeitgeist is coming home

„Trainspotting“ war einmal ein Buch, das Theaterstück wurde und dann Film. Der Kult um die Geschichte einer Vorstadtclique beweist zweierlei: Die Junkies sind unter uns, und Britannien produziert wieder „Lebensgefühl“  ■ Von Thomas Groß

Ist das Paket erst fertig geschnürt, wird die Vorgeschichte automatisch zur Legende. Fest steht, daß „Trainspotting“, das Buch, einmal in bescheidener 3.000er Auflage das Licht des Marktes erblickte und niemand deswegen besonders guter Hoffnung sein durfte – am wenigsten Autor Irvine Welsh, der als Schotte und (so sieht er es selbst) Gelegenheitsschriftsteller eher von den Rändern der Aufmerksamkeit herkommt. Wer gibt schon viel auf die Erfahrungen eines 38jährigen Studienabbrechers, Jobbers und Ex-Junkies aus Edinburgh?

Doch von irgendwas muß auch das Zentrum sich regenerieren, und nichts verkauft am Ende besser als das Gütesiegel „Kult“. Welshs kleiner Roman über kleine Verhältnisse traf auf eine Leerstelle im großen Sinnumschlagsbetrieb, und mit derselben Zwangsläufigkeit, mit der Schokoladenosterhasen zu Weihnachtsmännern umgeschmolzen werden, folgte auf „Trainspotting“, das Urmodell, „Trainspotting“, die britische Bestsellerausgabe, und „Trainspotting“, das erfolgreiche Theaterstück. Der Sommer 96 wird den internationalen Durchbruch von „Trainspotting“, dem Film, bringen, im Schlepptau „Trainspotting“, der Soundtrack und (für unsere Zuschauer zu Hause) „Trainspotting“, die deutsche Übersetzung.

„Hollywood, du kannst kommen ... deine Zeit ist abgelaufen“, wirbt der Verleih großspurig für das vom Film angeführte Multimedia-Package, und das ist nicht mal nur gelogen. Ähnlich wie Britpop, Steak mit Pfefferminzsauce oder Paul Gascoigne ist „Trainspotting“ ein Angriff der Provinz auf das amerikanische Monopol der Geschmacksbildung – in Wort, Bild und Ton. Bite the dust, Quentin Tarantino! Zeitgeist is coming home.

„Trainspotting“ heißt nichts anderes als „Züge gucken“, in der Spezialistenvariante: auf Brücken und an Gleisen stehen und Nummern von seltenen Dieselloks notieren – ein Altmännerhobby, ein Anachronismus, aber auch Sehnsuchtsmetapher. Man könnte ja eines Tages doch aufspringen und sich davonmachen aus der Gegend.

Schottland hat keine Dust bowl, und spätestens in Dover muß jeder Schotten-Hobo aufs Schiff wechseln, aber die große Depression, die ist angekommen. „Trainspotting“, Originalversion, ist eine unter Bildung größerer Narben zum Roman zusammengewachsene Szenenfolge aus dem Leben einer Twen-Clique in Leith, einem Arbeitervorort von Edinburgh. Man lebt vom Sozialhilfebetrug und anderen Kleingangstereien und achtet darauf, seinen sorgsam erworbenen Ruf im Viertel nicht zu verlieren: Sick Boy als Sex Maniac und Meister im Touristinnenflachlegen, Begbie als Mann, dem du als Besucher des Edinburgh-Festivals (und auch sonst) im Pub besser nicht in die Augen schaust (weil er da absolut keinen Spaß versteht), und Spud als romantisch-milder und deswegen chancenloser Springer zwischen den Fronten.

Renton alias Rent Boy, in der Filmversion zur eigentlichen Hauptfigur erhoben, ist der organische Intellektuelle im Milieu: Er liest Kierkegaard, denkt über die Neighbourhood nach, schlägt sich mit Eltern, Sozialarbeitern und Reha-Programmen herum – mit dem Ergebnis, daß er immer öfter auf den Zug aufspringt. Renton ist Junkie, aber einer mit attitude: „Die Gesellschaft erfindet eine völlig verdrehte Scheinlogik, um die Leute, deren Verhalten außerhalb des Mainstreams steht, zu absorbieren und zu ändern ... Entscheide dich für uns. Entscheide dich fürs Leben. Entscheide dich für Hypothekenraten, Waschmaschinen, Autos; entscheide dich dafür, auf der Couch rumzusitzen und bescheuerte, nervtötende Game shows anzuglotzen, während du dir beschissenes Junk food in den Mund stopfst. Entscheide dich dafür, langsam zu verrotten, dich im Pflegeheim vollzupissen und einzuscheißen, daß es deinen selbstsüchtigen, versauten Blagen, die du in die Welt gesetzt hast, peinlich ist. Entscheide dich fürs Leben. Also, ich habe mich entschieden, mich nicht fürs Leben zu entscheiden.“

Der letzte Satz ist ein kaum kaschiertes Sample aus Lou Reeds Songklassiker „Heroin“ („I have made a big decision / I'm gonna try to nullify my life“) und hat Welsh von seiten der britischen Presse den Vorwurf eingetragen, Drogen zu verherrlichen – was zu einem gewissen Grad auch stimmt. „Nimm deinen besten Orgasmus, nimm das Gefühl mal zwanzig, und du bist noch immer meilenweit davon entfernt“ – die Junkies in „Trainspotting“ wissen, was sie tun, und sie wollen den Kick. Welsh rehabilitiert den Pusher nach zwanzig Jahren der Verfemung als Subjekt selbstinduzierter Steigerungszustände.

Vom existentiellen Pathos der Sixties-Boheme ist allerdings nichts geblieben. Renton, Sick Boy & Co sind keine Rebellen, sondern Pragmatiker. Nüchtern verrechnen sie Laufzeit, Chancen und Thrillwert ihrer Alltagsexistenz und sind dabei aufgeklärt genug zu wissen, daß der Zuschlag für „Äitsch“ (wie es in der deutschen Übersetzung etwas verunglückt sixtiesmäßig heißt) kein „Break On Through To The Other Side“ bedeutet. Der nächste Turkey kommt bestimmt.

Welshs Fähigkeit, Rausch und Entzug zu beschreiben, haben ihn zum „lorbeerbekränzten Poeten der chemischen Generation“ (The Face) gemacht, sein Buch zu einem Stück „Drogenliteratur“ – was es nicht verdient hat. „Trainspotting“ ist besser. Es zeigt im Grunde keine Jugendszene, sondern „enteignetes weißes Pack in einem Schottland voller enteignetem weißen Pack“.

Meist ist es Rentons Blick, der hinter den Resten traditioneller Pubkumpeleien und Working- Class-Werte das Ausmaß der real existierenden Entsolidarisierung feststellt: Sick Boys kaum getarnten Beschaffungsegoismus, das nackte Schreckensregime eines Begbie, den kindischen Fußballnationalismus der Älteren, der sich bei Bedarf in weitere, sich bekriegende Subregionalismen aufspaltet. Schottland, wie Renton es sieht, ist ein einziges großes Ghetto, in dem ein Heer selbsternannter leaders of the pack sich ordnungsgemäß gegenseitig bekriegt – wie kann man da noch den Ausdruck „Porridgenigger“ als Beleidigung empfinden? „Jetzt weiß ich, daß das einzig Beleidigende daran der Rassismus gegen die Schwarzen war.“

Welshs formale Antwort auf solche Verhältnisse ist eine simulierte Mündlichkeit, die die mehr oder weniger offene Parallele zur HipHop-Culture fortführt. „Yir no feart ay they wee fucking saps ur ye?“ — das ist in der deutschen Übersetzung zwar semantisch korrekt mit „Hast doch nicht Schiß vor diesen kleinen Wichsern, oder?“ wiedergegeben, hat aber fast alles von der Lautgestalt verloren, mit der Welshs Schotten-Homeboys sich gegenseitig anbellen. „Trainspotting“ handle von Körperflüssigkeiten, „wobei der Eiter vermutlich knapp vorn liegt, dicht gefolgt vom Sperma“, schrieb der Kritiker der Literary Review. Dem muß widersprochen werden. Der Schaum vor dem Mund liegt auch nicht schlecht im Rennen. Nicht zu vergessen die Galle, mit der Welsh seine Szenen immer dann, wenn die Sitcom zu deutlich durchscheint, schwarz färbt.

„Trainspotting“, der Film, fischt bevorzugt die komödienhaften Elemente aus dem Stoff heraus und treibt sie auf die Spitze. Lustig splattert der Kot, mit dem Spud sich im Drogendelirium nächtens eingesaut hat, beim Frühstück über Gesichter und gebackene Bohnen. Schon lacht das Kino. Dann wieder kommt riesengroß DIE SPRITZE ins Bild und macht uns gruseln – so nah liegt alles beieinander! Die Szene, in der Renton zwei unfreiwillig verlorene Opiumzäpfchen, die seinen Entzug mildern sollen, aus einer verstopften Toilette fischt, hat Regisseur Dany Boyle („Kleine Morde unter Freunden“) als surrealistischen Slapstick inszeniert – einmal in die Kanalisation des Unbewußten und zurück.

Ein Hauch Monty Python liegt über dem ganzen, der signalisiert: Dies hier ist aus U.K.-Zutaten zusammengemixt – und nicht einmal besonders weit hergeholt. Nimm Ken Loach, The Commitments und denk dir die metropolitane Abgerissenheitsästhetik des i-D- Magazins hinzu – schon bist du Mitglied im Club. Der Film wirkt um einiges plumper als die Vorlage, gibt einem aber trotzdem das Gefühl, das Trio Boyle (Regie), John Hodge (Drehbuch) und Andrew McDonald (Produzent) hätte mit Profihand formatiert – und sogar etwas Herzblut injiziert. Gute Ware „englische Komödie“. Daß Renton (Ewan McGregor) für die Kamera kein rothaariges Pickelmonster sein konnte, vielmehr zum drahtigen Raver tendiert, wird jeder einsehen, daß eine Nebenepisode ausgebaut wurde, um mit Kelly Macdonald als Diane so etwas wie ein weibliches Rollenmodell vorführen zu können, auch. Robert Carlyle als Begbie sorgt in

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„Clockwork Orange“-Tradition für ein kleines bißchen Horrorschau. Alles Unverfilmbare, die Greatest-Hits-Sätze aus dem Buch, spricht Renton als Kommentar aus dem Off, in regelmäßigen Abständen unterstützt von einer musikalischen Gefühlsspur, die von Lou Reed über Iggy Pop bis Primal Scream reicht – also 30 Jahre Drogenjugend per Soundtrack vereint (die CD hat in England jetzt schon Platin).

Was gar nicht ins Konzept paßte, wurde souverän weggelassen. Insgesamt ist am Verhältnis Buch/Film zu studieren, daß Literatur unter den gegebenen Bedingungen über das größere Differenzierungsvermögen verfügt, der Film aber über die stärkere Definitionsmacht. Erst im Kino wird aus „Trainspotting“ die Galerie echt geiler Trauergestalten, die bis spätestens zum Herbst die Collection von Hennes & Mauritz beeinflußt haben wird.

Komische Logik der Lifestylisierung: Im Package werden aus Losern doch noch Erfolgsmodelle. Welsh, der mal in einer Punkband namens „Pubic Lice“ (Filzläuse) gespielt hat, ist ein gemachter Mann und schickt sich an, in London einen Rave-Club zu eröffnen; Ewan McGregor gilt als jugendlicher Phänotyp schlechthin; und wenn wahr ist, was die Fachblätter schreiben, steht Hollywood den Herren Doyle/Hodge/Macdonald mit Koffern voller Geld vor der Tür. Sie wollen aber nicht, man ist selbst wieder wer. „Britpop jetzt endlich auch als Film“, wirbt der Verleih für das neue Produkt im Regal – der Versuch, den Zeitgeist heimzuholen, hat am Ende dieselbe, leicht exklusive Protestnote, mit der Britpopper wie Blur schon seit Jahren auf amerikanische Oberflächlichkeit und internationales Hamburgertum einschimpfen. Lokalkolorit im Dienste der Nationalökonomie: Buy british.

Der Film zur Stunde ist „Trainspotting“ trotzdem. Bei aller Übersetzung von Elend in „Lebensgefühl“ bleibt eine Ahnung von der sozialen Implosion, die Veranstaltungen wie der Berliner Love Parade noch bevorstehen.

Irvine Welsh: „Trainspotting“, Minerva (London), 344 Seiten, £ 6.99. Deutsche Ausgabe (aus dem Englischen von Peter Torberg): Rogner und Bernhard bei Zweitausendeins, 438 Seiten, 33 DM. Der Film läuft in Deutschland am 15. August an. Der Soundtrack ist bei EMI erschienen.

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