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■ „Pazifisten“ und „Bellizisten“ im Westen stritten lange um eine Intervention in Bosnien. Wer hatte recht? Eine BilanzSchattenkrieg ohne Sieger

Während des Krieges im früheren Jugoslawien wurde in Deutschland ein Schattenkrieg zwischen „Pazifisten“ und „Bellizisten“ geführt. Wer hat ihn gewonnen? Auf den ersten Blick erzählt der Krieg die traurige Geschichte einer unterbliebenen Militärintervention. Eine Art Pazifismus der Trägheit habe die UNO auf einen Kurs fruchtloser Verhandlungen gebracht, suggeriert der erste Blick. Nach dem endgültigen Scheitern ihrer Strategien hätten Nato und USA den Krieg mit dem Bombardement serbischer Stellungen im September 1995 beendet. Hätte der Westen sich gleich zur Intervention bequemt, könnten Zehntausende Bosnier noch leben, meinen daher die „Bellizisten“.

Die Frontlinie zwischen Gegnern und Befürwortern verlief aber stets anders als die im ideologischen Schattenkrieg zwischen „Bellizisten“ und „Pazifisten“. Es waren nicht die „Pazifisten“, sondern die Regierungen und die Militärs, die den Interventionswünschen Widerstand boten. Die Generäle in Europa und den USA vermißten ein klares politisches Ziel und eine erfolgversprechende militärische Perspektive.

Dies wollten die „Bellizisten“ nicht akzeptieren. Serbien und später auch Kroatien, so ihr Bild, überfielen ein Land, wo Menschen verschiedener Konfessionen friedlich zusammenlebten. Diese Darstellung traf tatsächlich einen Aspekt des Krieges, blendete einen anderen aber aus: Der Krieg war rasch zu einem Ringen dreier Völker in Bosnien geworden und konnte durch den Sieg des eines Volkes über das andere nicht beendet werden. Die Versimpelung des Krieges durch die „Bellizisten“ machten die Regierungen nicht mit. Sie wußten es besser.

Gegen Serbien wurden umfassende Sanktionen verhängt, aber in Bosnien entwickelte die UNO eine mehr oder weniger neutrale Linie. Sie bemühte sich, über Verhandlungen die Zivilbevölkerung zu schützen. Höhepunkt dieses Konzepts war die „Schutzzonenregelung“ von Mai/Juni 1993, als sechs weitgehend muslimische Enklaven in Bosnien zu unangreifbaren „UNO-Schutzzonen“ erklärt wurden. Diese Zonen sollten von Blauhelmen geschützt werden, die aber größtenteils ausblieben. Als die Serben Sarajevo abschnitten, forderten die Vereinten Nationen Ende Februar 1994 erstmals Nato- Luftschläge an. Daß die Serben daraufhin nachgaben, ist ein starkes Argument dafür, daß man ihnen von vornherein mit militärischen Drohungen hätte Einhalt gebieten können.

Der Krieg in Bosnien war aber kein spontaner Ausbruch des Hasses, kein Eroberungszug eines blindwütigen Diktators, sondern ein politisch kühl und präzise kalkuliertes Manöver. Und genau deshalb funktionierte die Interventionsdrohung nicht. Milošević und bald auch Tudjman wußten: Wirksam drohen hätte die Welt nur können, wenn es eine Perspektive für eine Intervention gegeben hätte. Die aber gab es nicht.

Das zweite starke Argument der Interventionisten ist, daß der Krieg schließlich durch eine Militärintervention beendet worden sei. Der Nato-Einsatz habe die serbische Seite so geschwächt, daß die verbündeten Kroaten und Muslime Land gewinnen und so ein Gleichgewicht in Bosnien herstellen konnten. Erst dieses Gleichgewicht machte Dayton möglich, weil viele Stolpersteine aus dem Weg geräumt waren.

Die „Stolpersteine“ waren allerdings ein paar hunderttausend Menschen; mehr als 10.000 davon ließen ihr Leben. Im Mai 1995 begann mit dem Segen der USA die „Flurbereinigung“, die nach Dayton führen sollte: Die kroatische Armee nahm die Krajina ein und vertrieb dabei mehr als 200.000 Menschen. Die serbische Armee eroberte die muslimische Enklave Srebrenica und brachte dabei mehrere tausend Menschen um. Vor der Kulisse der Nato-Luftschläge nahmen sich die Kroaten und Muslime weite Teile Westbosniens; die dortige Bevölkerung floh. All diese Verschiebungen fanden praktisch kampflos statt. Nicht die Nato-Angriffe hatten sie möglich gemacht, vielmehr das kalkulierte Stillhalten der bosnischen Serben, die zwar bereit waren, Territorium abzugeben, nicht aber eine Reintegration Bosniens zuzulassen. Allen kriegführenden Regimen war klar, daß vor Dayton die Landkarte Bosniens vereinheitlicht werden mußte, hatten aber nicht die Macht, ihre eigene Bevölkerung zur Räumung ihrer Wohnungen zu bewegen. Deshalb ließen sie den schmutzigen Job von der jeweils anderen Armee verrichten. Während die UNO, wenn auch uneffektiv, die Zivilbevölkerung vor den kriegführenden Regimen schützte, verbündete sich die Nato mit den Regimen gegen die Zivilbevölkerung. So gesehen, ist der bosnische Krieg alles andere als ein geistiger Sieg der Golfkriegs-Bellizisten geworden, die ja nicht aus Kriegslüsternheit einer Intervention das Wort redeten, sondern weil sie glaubten, daß Menschen anders nicht wirksam geschützt werden könnten.

Ein „pazifistischer“ Sieg ist die Geschichte des bosnischen Krieges aber ebensowenig. Das Schutzzonenkonzept scheiterte – zum Teil gerade aus „pazifistischen“ Gründen. Die UNO war nicht bereit, die Schutzzonen gegen Angriffe der Serben militärisch zu verteidigen.

Deutschland hatte sich überhaupt geweigert, sich an der UN- Mission zu beteiligen. Schuld an dieser fatalen Haltung war eine unheilige Allianz von „Bellizisten“ und „Pazifisten“. Während die Pazifisten in der SPD noch mit der Frage haderten, ob nicht schon ein Blauhelmeinsatz zu weit ginge, waren es die „Bellizisten“ in der Union zufrieden, weil sie schon ganz andere Pläne hegten: Deutschland sollte sich nicht unter UNO-, sondern unter Nato-Befehl auf dem Balkan engagieren. Was es dann schließlich auch tat.

So muß die Frage, wer den Schattenkrieg zwischen „Bellizisten“ und „Pazifisten“ gewonnen hat, offenbleiben. Aber beide Seiten können aus dem Krieg etwas lernen: die einen, daß Militärschläge nicht die Ultima ratio jedes Konflikts sind, sondern bloß ein problematisches Mittel, das längst nicht immer sinnvoll ist; die anderen, daß man mit Verweigerung zwar sein gutes Gewissen behält, politisch aber zuweilen das Gegenteil des Gewünschten erreicht. Norbert Mappes-Niediek

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