Der Sanierer sitzt im Knast

Loik Le Floch-Prigent, der die französische Staatsbahn SNCF retten sollte, muß sich wegen Vorteilsnahme und Bilanzfälschung verantworten  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Ich bin der einzige, der die SNCF retten kann“, sagte Loik Le Floch-Prigent im Brustton der Überzeugung. Das war im Dezember 1995, am Ende des großen Streiks, als er von der französischen Regierung an die Spitze der Staatsbahn gerufen wurde, um einen neuen Sanierungsplan für das marode und sozial explosive Unternehmen aufzustellen. Doch soweit ist es nicht gekommen: Seit der Nacht zu gestern sitzt der Industriekapitän im Pariser Gefängnis „La Santé“.

Untersuchungsrichterin Eva Joly hat eine beeindruckende Liste von Anschuldigungen gegen Le Floch-Prigent aufgestellt. Sie reicht von Vorteilsnahme und persönlicher Bereicherung über Vertrauensmißbrauch und Fehlinformationen bis hin zu Bilanzfälschungen. Seit zwei Jahren arbeitet die Richterin an dem Dossier. Am Donnerstag stellte sie nach einem über vierstündigen Verhör des Beschuldigten einen Haftbefehl gegen ihn aus, um zu verhindern, daß belastende Unterlagen verschwinden und mögliche Zeugen manipuliert werden.

Die Vergehen datieren aus den frühen 90er Jahren, als Le Floch- Prigent der Präsident des mächtigen staatlichen Ölkonzerns „Elf- Aquitaine“ war. In dieser Eigenschaft soll er unter anderem 800 Millionen Francs (ca. 240 Millionen Mark) an das Textilunternehmen seines Freundes Maurice Bidermann – der inzwischen ebenfalls im Knast sitzt – „verliehen“ haben. „Elf-Aquitaine“ bekam keine Centime zurück. Le Floch- Prigent und seine damalige Gattin Fatima Belaid hingegen sollen Gefälligkeiten in Millionenhöhe bekommen haben. Des weiteren wirft Richterin Joly dem einstigen Elf-Chef dubiose Immobiliengeschäfte und Aufkäufe eines spanischen Ölunternehmens und US- amerikanischer Ölvorräte vor.

Der 52jährige Bretone Le Floch-Prigent hat eine ebenso steile wie ungewöhnliche Karriere gemacht. Im Gegensatz zu den meisten anderen Industriebossen Frankreichs besuchte er keine der staatlichen Eliteschulen, sondern studierte ganz einfach Hydraulik- ingenieur in Frankreich und den USA. Als er 1981 als Kabinettschef ins Industrieministerium geholt wurde – der Posten, auf dem er die Bekanntschaft von Bidermann machte –, hatte er bereits sein sozialistisches Parteibuch. Wenig später machte Staatspräsident Mitterrand den selbstbewußten Mann zum Präsidenten der staatlichen Chemiegruppe „Rhône-Poulenc“. Dort kündigte Le Floch-Prigent an, daß er die Gruppe vom weltweit zwölften auf den fünften Platz bringen werde, und wurde 1985 von französischen Wirtschaftsjournalisten zum „Manager des Jahres“ erkoren.

Doch obwohl sich Le Floch-Prigent für die Privatisierung aussprach, was seine sozialistische Genossen als „Verrat“ verstanden, wurde er 1986 von der konservativen Regierung entlassen. Erst 1989 holte ihn Mitterrand zurück und setzte ihn an die Spitze von „Elf- Aquitaine“. Fortan kontrollierte er von seinem Büro im 44. Stock im Pariser Stadtteil La Defense ein Weltreich. Er flog im Privatjet zu Treffen mit afrikanischen Staatschefs und avancierte zum Verwaltungsratsmitglied zahlreicher Banken und Großkonzerne. Gleichzeitig schaffte er es, einen Ton zu finden, der ihn auch bei Gewerkschaften beliebt machte. 1993 wurde Le Floch-Prigent zum zweiten Mal Opfer einer Kohabitation. Diesmal war es der konservative Premierminister Edouard Balladur, der ihn auf ein Abschiebegleis bei der „Gaz de France“ setzte.

Nach drei Wochen Eisenbahnerstreik erinnerte sich Jacques Chirac der Fähigkeiten von Le Floch-Prigent und setzte ihn an die Spitze der SNCF mit 180.000 Mitarbeitern. Was dort nach Le Floch- Prigents Inhaftierung passiert, ist völlig unklar. Die französische Regierung, die über die Ermittlungen gegen ihn informiert war, hüllt sich in Schweigen. Ministerpräsident Alain Juppé spricht von der Unschuldvermutung. Eisenbahner beklagen das Vakuum in ihrem Unternehmen.