Neue Frist für bosnische Flüchtlinge

■ Innenminister Kanther zweifelt, ob die vom ihm verordnete Rückkehr zum 1. Oktober realistisch ist

Berlin (rtr/taz) – Die 320.000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien müssen möglicherweise noch nicht ab Herbst in ihre Heimat zurückkehren. Bundesinnenminister Kanther signalisierte am Donnerstag abend, daß er selbst seine bisherigen Terminvorgaben für die Rückführung nach Bosnien-Herzegowina für wenig realistisch hält.

Kanther bekräftigte zwar, daß die Flüchtlinge „Gäste auf Zeit“ seien und der vorgesehene Stichtag für die Rückführung der 1. 10. sei. Doch bis dahin könnten sich die Verhältnisse in der ehemaligen Kriegsregion verändern, so daß der Stichtag fraglich werden könne. Er wolle, sagte Kanther, „keine Hektik um ihrer selbst willen machen“. Genau diese „Hektik um ihrer selbst willen“ hatten der Bundesinnenminister und seine Länderkollegen jedoch verbreitet, als sie bereits kurz nach der Unterzeichnung des Dayton- Abkommens die Rückkehr der Flüchtlinge verordneten. Zum 1. 7. 96, so die Innenminister im Januar, sollte die erste Gruppe Deutschland verlassen. Bis zum Frühjahr nächsten Jahres sollte die „Rückführungsaktion“ abgeschlossen sein. Die drakonische Auflage widersprach allen Empfehlungen der Vereinten Nationen.

Im Mai, als die ersten Flüchtlinge schon ihre Ausreiseaufforderung zugestellt bekamen, machten die Innenminister der Länder einen Rückzieher. Anfang Mai übertrugen sie dem Bundesinnenminister die Entscheidung über die Rückkehr. Kanther legte daraufhin ohne förmlichen Beschluß den 1. Oktober als Beginn der staatlich verordneten Rückkehr fest. Da aber viele Flüchtlinge Rechtsmittel gegen ihre drohende Ausweisung einlegten, zöge sich die Rückführungsaktion ohnehin bis ins nächste Frühjahr hin, so daß „niemand gegen seinen Willen im Winter zurückgeschickt werde“, schwächte Kanther am Donnerstag abend vor Journalisten ab.

Nach jüngsten Angaben der UN-Hochkommissarin für Flüchtlingsfragen, Sadako Ogata, sind von den zwei Millionen Kriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien bisher erst 70.000 an ihren Heimatort zurückgekehrt, davon hatten die allermeisten im eigenen Land Zuflucht gesucht. Vera Gaserow