Aus allem zuviel

■ Shell glauben an verzerrte Gitarren mit Zuckerwatte und melodischem Gesang

Es gibt viele Untersuchungen darüber, wie bestimmte Umstände den Jugendlichen dazu bringen, zu malen, zu schreiben oder Musik zu machen. In der Regel werden solche Untersuchungen von bestürzten Soziologen bis hin zu Verfassern von Rockmusiker-Biographien nicht nur geführt, um über eine private Vergangenheit eine öffentliche Gegenwart zu erklären. Es geht auch immer darum, für den Mythos Platz zu lassen, daß nicht die Depression, sondern vielleicht doch der Ruhm ab morgen dein Leben bestimmt, welches das Schicksal am Schlafittchen gepackt hat.

Im Falle der Band Shell, die an mehr oder weniger verzerrte Gitarren mit Zuckerwatte drum 'rum sowie melodischen Gesang glauben, könnten Soziologen und Biographen nicht nur überlegen, was junge Leute zum Musikmachen bringt.

Shell klingen wie eine Gruppe, die sich zwei Freunde oder Freundinnen während der Zeit in ihren Zimmern unter dem Dach des Elternhauses ausdenken könnten. Nach der Entscheidung für die Musik stellt sich die Frage, warum sie Gitarren und nicht einen Sequenzer bedienen möchten. Die Frage läßt sich bei Shell schwer beantworten, aber es werden doch die beiden Vektoren klar, die auf die Antwort zeigen: die Beschaffenheit der Melancholie des Jugendlichen und sein Verhältnis zur Politik. Wobei die Melancholie ein Instrument als etwas betrachtet, mit dem sich ein Monopol auf eine eigene Welt schaffen läßt und die Politik erst mal (auf) die/se Welt zeigt.

Die eigene Welt kann aber mehr, als ein paar Freunde auszuschließen: Wenn man Bands wie Shell nicht im großen und ganzen sympathisch fände, könnte die mit ihrer Musik angedeutete Abwesenheit von Größenwahn fast etwas nerven. Mit ein wenig Größenwahn geböten Shell ihrem nettigen Dahinspielen, mit dem sie noch für die schlimmsten Einsichten goldene Worte und Noten finden, Einhalt.

Es sei denn, bei Shell spielen Leute, wie sie der Schriftsteller Thomas Mann in einer Geschichte beschrieben hat. Mann malte dort das Bild von einem aus, der sich nach der ersten enttäuschenden Liebe dazu entschließt, fortan alle und auch die traurigen Gefühle mit aller Kraft zu genießen.

Shell sind noch nicht ganz so weit, aber sie ahnen, daß sich zum künstlerischen Genuß aus allem und aus der Trauer „etwas machen“ läßt – ein heikler Genuß. Denn die göttlich mitreißende Einsicht darüber, wie einfach es sein kann, ein mitreißendes Lied zu schreiben, hält nicht lange vor. Danach folgt die Ahnung, daß man sich entweder verkriecht, bis man endlich etwas richtig macht oder es für möglich hält, mit einem Mal allen einen erzählen zu können. Aber niemand möchte ja Alternativen an die Wand malen. Kristof Schreuf

So, 14. Juli, 22 Uhr, Heinz Karmers