Plastiktanne und Knickebein auf hoher See

■ Bei deutschen und philippinischen Seeleuten an Bord eines Tankers in Wilhelmshaven / Heimweh und Truthahn am Heiligen Abend

„Wir sind sehr freundliche Menschen“. Rafa (*) ist nachdenklich, wägt seine Worte ab. Er zutzelt an der spröden Haut an den Fingern, beißt ein Stückchen ab und knurpselt darauf herum. „Weißt du, hier auf dem Schiff mußt du freundlich sein und Freunde gewinnen. Das Wichtigste ist es, Freunde zu haben. Sonst hast du ja niemanden, der sich um dich kümmert, wenn du traurig oder mal krank bist“. Deswegen beobachtet Rafa neue Kollegen sehr genau. „Du mußt wissen, ob du auch mal einen Witz mit dem Kollegen machen kannst, ohne daß der gleich sauer ist. Es soll doch harmonisch sein“.

Über dem braunen Sofa, auf dem Rafa sitzt, hängt Freud mit dem sich räkelnden Frauenkörper im Hirn. „Safety first“ mahnt der verballhornte Seelenarzt, „denkt an Aids und benutzt Kondome“. Ein philippinischer Seemann, längst ausgestiegen und vielleicht wieder zu Hause oder auf einem anderen Schiff angeheuert, hat die Zeichnung hängengelassen.

Sie ist fast der einzige Wandschmuck in dem sonst freudlosen „Crew's Smoking Room“, dem Aufenthaltsraum der philippinischen Besatzung. An zwei Wänden reihen sich unter den Bullaugen festinstallierte Sitzelemente aneinander. Hier und da ein Holztisch davor soll zwei Menschen zusammenbringen. Die Reederei hat Fernseher, Videogerät und eine Stereoanlage spendiert, die auf der Schrankwand ihren Platz fanden. In einer Ecke sitzen Rafas Kollegen auf den weltweit stapelbaren Plastikstühlen, knallen die Ma-Jongg Steine auf die Tischplatte und genießen ihren Feierabend.

Seit acht Monaten ist Rafa auf dem „Dampfer“, gestern noch in Wilhelmshaven – morgen schon auf den Shetland-Inseln. Bis Ende Januar muß er es noch aushalten. „Es wird Zeit, nach Hause zu gehen“, sagt Rafa, den Blick nach innen gekehrt. Seit fünfzehn Jahren fährt er schon zur See. Seine Heimat auf den Philippinen, seine Frau und seine Tochter hat Rafa seitdem nur selten gesehen. Nach seinem letzten Einsatz auf der Nordsee hatte er gerademal zwei Wochen Urlaub, dann bekam Rafa den nächsten Job.

Der Heuervertrag mit der Hamburger Leiharbeiterfirma geht über zehn Monate, Urlaubstage werden verrechnet. Auch nach dem nächsten Landurlaub möchte Rafa wieder an Bord, möglichst auf das gleiche Schiff. „Wenn sie mich wieder wollen“, gibt er zu Bedenken. Aber meistens will die Reederei, schließlich ist Rafa nach fünfzehn Jahren Seefahrt gut ausgebildet, hat viel Erfahrung mit Tankern und Menschen.

Die Leiharbeiteragentur schickt ihre philippinischen Arbeiter in regelmäßigen Abständen zur Weiterbildung in ein Ausbildungscamp nach Zypern. Die Kosten tragen die Männer, die werden von der Heuer abgezogen. Rafa ist für die englische Reederei zudem eine billige Arbeitskraft, auch wenn sie mehr als die im internationalen Tarifvertrag festgeschriebene Heuer bezahlt. Ein Deutscher würde Rafas Job als dritter Decksoffizier wohl nur für den dreifachen Lohn machen.

Trotz dieser Bedingungen geht es den Philippinos verhältnismäßig gut, meint ein deutscher Offizier. Seeleute aus anderen Billigländern der Dritten Welt „verschulden“ sich gegenüber Reedern oder Agenturen dermaßen, daß sie nur noch für Kost und Logis fahren. „Tja, das ist die moderne Form der Sklaverei“, sagt der Deutsche mit unbefristeten Vertrag.

Trotz der strengen Hierarchie geht es ganz zivil auf dem Tanker am Wilhelmshavener Pier zu. Ab halb zwölf gibt es Mittagessen. Mariano, der philippinische Koch, hat Rouladen, Rosenkohl und Salzkartoffeln auf den Tisch gebracht. In der Offiziersmesse essen die deutschen Nautiker, Ingenieure und der Kapitän samt Gästen. Ein Hauch von chinesischem Schick liegt über der Tristesse der braunen Polstersessel, die Decke ist noch mit beige Seidenimitat der chinesischen Werft ausgeschlagen.

„Mein Mann ist gar kein großer Esser“, weiß die Kapitänsfrau zu berichten. Deswegen greift der Kapitän auch gern mal auf Aldi-Kost zurück, die seine Gattin im Mercedes auf die Pier gekarrt hat. Für die bunten Teller zu Weihnachten hat sie auch gesorgt. „Das ist an Land ja viel billiger, als wenn ich das über den Schiffsmakler kaufe“, meint der Kapitän. Knickebein-Figürchen und Kringel kommen daher dieses Jahr vom Billiganbieter.

Endlich hat der Käpt'n auch zwei Plastiktannen angeschafft, je eine für die Offiziers- und Mannschaftsmesse. Die Weihnachtsbäume zu schmücken war nie ein Problem, Gehörschutzwatte ersetzt zur Not das Engelshaar. „Letztes Jahr hatten wir noch –ne echte Tanne, aber die ist nach Weihnachten mit den Kugeln über Bord gegangen, weil keiner sie abschmücken wollte“, erzählt der Käpt'n. Der Plastikbaum dagegen muß abgetakelt werden, sonst paßt er nicht in den Karton.

Am 24. Dezember wird das Bäumchen dann in der Ecke der Offiziersmesse vor sich hin leuchten und dem Truthahn-Festessen der Deutschen einen Hauch von Weihnacht verleihen. Die Philippinos essen in der Messe gegenüber, auch mit deutschem Weihnachtsbaum: am Spieß geröstetes Spanferkel. „Eine philippinische Spezialität zu Weihnachten“, wie Rafa versichert. Ansonsten verläuft der Heilige Abend wie jeder andere Abend, vielleicht machen sie noch eine „Party“, die „Weißen“ im „Gentlemen's Smoking Room“, die „Braunen“ einen Stock tiefer. Und gibt es da einen Unterschied zu normalen Tagen? Nein, bei Parties tanzen sie manchmal oder singen. Manchmal kommt auch einer von den Weißen runter, wenn es oben zu langweilig ist.

„Ich verdiene hier fünf oder sechs mal mehr, als auf den Philippinen“, sagt Rafa, das lohnt sich trotz aller Entbehrungen. „Meine Ansprüche sind auch gestiegen, mit einem philippinischen Lohn würde ich gar nicht mehr auskommen“. Aber die rund 1.800 Dollar Offizierslohn im Monat reichen trotzdem kaum. In Europa gehen Rafa und seine Kollegen daher nur selten von Bord. Die Löschplätze der Tanker liegen meist außerhalb der Städte, allein die Taxifahrt von der Pier im Wilhelmhavener Ölhafen in die Stadt kostet ein Vermögen. Also bleiben sie an Bord, gucken deutsches Fernsehen, das sie nicht verstehen und trinken Jever Light. Nur vor ein paar Wochen, da hat einer einen Koller bekommen. Der ist in Liverpool an Land gegangen, in ein chinesisches Restaurant.

Ein tristes Dasein, aber alle sind froh, einen für ihre Verhältnisse lukrativen Job gefunden zu haben. So wie Kiki. Mit 21 Jahren ist er der Jüngste an Bord. Auf seiner ersten großen Fahrt arbeitet der Kadett im Maschinenraum. Wochenlang hatte er sich in Manila bei der Niederlassung der Hamburger Agentur herumgedrückt und nach Arbeit auf einem Schiff gefragt. Bevor Kiki jedoch dort hin durfte, ließen ihn die deutschen Herren erstmal ein Jahr lang die Dienstwagen chauffieren. Unbezahlt und ungesichert lebte Kiki nur von den Trinkgeldern.

Dann endlich schickten die Hamburger den jungen Philippino auf den ersten Lehrgang nach Zypern. Innerhalb von drei Monaten lernen die meist ungelernten Männer dort im Auftrag der Leiharbeiteragentur schweißen und nieten, wie Rettungsboote ausgebracht und Tampen festgezurrt werden. Die Kosten für den Flug und den Lehrgang zieht die Agentur Kiki jetzt von der Heuer ab. 250 Dollar bleiben dem jungen Kadetten im Monat. Nach acht Stunden Arbeit in dem 28 Grad warmen Maschinenraum verdient sich Kiki noch ein paar Dollar extra. Er wäscht die verschmierten „Kesselpäckchen“, die Overalls, der Deutschen.

(*) Alle Namen geändert

Ulrike Fokken