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Konditionswunder

■ Shirley MacLaine schaffte 75 Stücke in zwei Stunden

Vor 16 Jahren war Shirley MacLaine das letzte Mal in Hamburg aufgetreten. Eine lange Zeit, für die Unterhaltungsbranche fast schon eine Ewigkeit. Doch die 60jährige wäre nicht sie selbst, wenn sie damit nicht fertigwerden würde: Ihr langer Atem hat schon so manchen überrascht. Und kaum hatte sie am Montag abend die Bühne des CCH betreten, waren die Jahre scheinbar timetunnelmäßig überwunden, lag ihr das Publikum auch schon zu Füßen, wenn das bei standing ovations überhaupt möglich ist. Wie dem auch sei, ihre Zuhörerschaft hatte schon die Höchstzuwendung verteilt, ehe die MacLaine auch nur einen Ton von sich gegeben hätte.

Aber so muß es wohl sein, wenn sich Fans und das Objekt der Begierde Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Da kann es auch schon mal passieren, daß dem älteren Konzertsemester vor Rührung die Konfirmandenblase drückt und der Gang zum Klo zur unpassenden Unterbrechung gerät. Andererseits sorgte das für zumindest etwas Bewegung im Saale. Die MacLaine nämlich war dazu nicht unbedingt in der Lage – kein Wunder bei 40 Jahren Showkarriere in den Knochen. Meist saß sie nach den wenigen Tanzeinlagen erschöpft luftholend auf einer der Sitzgelegenheiten und erzählte einen Schwank aus ihrem Leben. Die Döntjes waren nach dem selben Muster gestrickt: Erst mit dem Alter kokettieren („Das war vor 100 Jahren“), dann namedroppend ein bißchen Starklatsch anbringen („Von den Schauspielern meines Alters gefällt mir Clint Eastwood am besten“), um schlußendlich einen ihr vielen Hits, die wirklich welche sind, vorzutragen. Leider nur für ein paar Sekunden, denn wer insgesamt 75 Stücke in einer zweistündigen Singing-Dancing-Musical-Revue unterbringen will, darf nicht zu lange an einer Stelle verweilen. Das war schade, wurde doch so aus einem pointierten „Best of“ ein Schnelldurchlauf, der die Unterschiede eindampfte und Nuancen nicht mehr erkennen ließ. Irgendwie klang alles gleich, woran die achtköpfige Band nicht viel ändern konnte und sollte. Der Zweck eines Medleys, Sinn macht ein Potpourri ohnehin nicht, liegt schließlich darin, allen alles zu geben – oder zumindest so zu tun. Jedes Risiko wird abgetrieben, echte Höhepunkte gleich mit.

Daß sich die große, alte Musical-Dame zu einem Nummern-Girl in eigener Sache degradieren ließ, stimmt traurig, zumal sie damit allenfalls dem Publikum einen Gefallen tut. Dabei sind die Verdienste der Oscar-Preisträgerin unbestritten groß: Shirley MacLaine verdient jeden Respekt. Andererseits hat sie die Zeichen der Zeit und ihres Körpers (diverse Knieoperationen in den letzten Jahren) nicht erkannt. Ihr zäher Wille ist ihre Art, mit der Angst vor dem Karriereende umzugehen. Freiwillig wird sie die Bühne nicht verlassen.

Clemens Gerlach

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