■ Daß Kinderreiche mehr Rente bekommen sollen, ist gut. Doch die Debatte lebt von Ressentiments gegen Kinderlose.: Haben Sie überhaupt Kinder?
Dieser Grabenkampf hat gerade noch gefehlt. Nach Jung gegen Alt, schuftende Bevölkerung gegen schmarotzende Sozialhilfeempfänger, wackere Gesunde gegen teure Kranke gibt es ein neues Duell in der Verteilungsschlacht um den mickrig gewordenen sozialen Kuchen: Kinderreiche gegen Kinderlose. „Der neue Rentenkrieg“, titelt Die Woche. „Wer nicht für Nachwuchs sorgt, soll stärker zur Kasse gebeten werden.“ Auslöser der Schlagzeile war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dem zufolge Kindererziehungszeiten bei der Rente künftig stärker vergütet werden müssen. Nur, wer soll dafür aufkommen, wenn die Kassen leer sind und sozialpolitische Phantasie sich auf das Umschichten des Mangels beschränkt? Naheliegende Folgerung, von Politikern bereits lautstark in die Arena geworfen: Die Kinderlosen, die sich weigern, ihren Part des Generationenvertrags zu erfüllen, sollen zahlen.
Ginge es nur darum, ein wenig mehr oder weniger in die Rentenkasse zu zahlen, wäre die Sache keinen Streit wert. Doch das Bundesverfassungsgericht hat eine Debatte losgetreten, die untergründig schlummerte und beileibe nicht nur finanzielle Hintergründe hat.
Der Anspruch ist richtig und keine(r) wird widersprechen: Kinder dürfen kein Synonym für tatsächliche oder drohende Armut sein. Die finanzielle Belastung, die (vor allem alleinerziehende) Mütter und Väter tragen, braucht einen Ausgleich, damit Kindererziehung nicht zur Strafe wird. Soweit das Ziel – nur jedes noch so hehre Ziel wird zwiespältig, wenn damit noch eine andere, unausgesprochene Absicht verfolgt wird.
Ginge es bei der aktuellen Debatte wirklich um einen finanziellen Lastenausgleich von Reich zu Arm – nichts dagegen. Wenn dies Kinderlose mehr trifft als Eltern mit Kindern – so ist das nur recht und teuer. Aber es geht nicht nur ums Geld, sondern vor allem um Ideologie: um Bonus- und Maluspunkte für Kinderbesitz und Kinderlosigkeit, um Aufwertung von Kindererziehung durch soziale Abwertung von Kinderlosigkeit.
Kinder aufzuziehen ist ein schönes, bereicherndes, verantwortungsvolles und oft auch schwieriges Unterfangen. Aber ist es deshalb ein gesellschaftlicher Wert an sich? Die Wahl für oder gegen ein Kind ist in wohlhabenden Industrieländern kein gesellschaftlicher Auftrag mehr, sondern eine persönliche Lebensentscheidung. Und das ist gut so. Wir gehören nicht mehr zu den Lebewesen, die den Fortbestand der Gattung oder des eigenen Stammes durch permanenten Nachwuchs sichern müssen. Zum Glück. Die aktuelle Diskussion jedoch erweckt den Eindruck, als ob es immer noch ums blanke Überleben ginge, zumindest ums Überleben der Rentenversicherung. Mögen wir uns auch sonst nicht um sinnvolle Aufgaben für die nächste Generation bemühen, zumindest für den Fortbestand unserer Alterssicherung brauchen wir sie.
Keiner weiß derzeit, wie wir dieser jungen Generation ausreichend Arbeit verschaffen, damit sie überhaupt die Chance bekommt, zum Rentenzahler zu werden, keiner weiß, ob demnächst nicht der Generationenvertrag umgedreht werden muß und Eltern ihre längst erwachsenen Kinder mitfinanzieren müssen. Trotzdem soll weiterhin gelten: Wer Nachwuchs schafft (bloß ja nicht zuviel!), tut (ab welcher Kinderzahl eigentlich?) eine gute gesellschaftliche Tat. Wer es unterläßt, ist ein hedonistischer Parasit.
Im Alltag erleben Familien mit Kindern nach wie vor das genaue Gegenteil. Vor allem Eltern mit mehr als zwei Kindern werden als unsozial beäugt, der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz wird zur Unkenntlichkeit verwässert, die Erhöhung des Kindergeldes gestrichen. Kostenlose Kompensation verspricht da das ideologische Terrain: die moralische Abgrenzung gegen die wachsende Schar kinderloser Egoisten.
Die Diskussion wird zum Vorboten eines bemerkenswerten ideologischen Rollbacks. Daß zum Erwachsenenleben nicht unbedingt Kinder gehören müssen, war eine der großen Errungenschaften der letzten dreißig Jahre. Kinder nicht als biologische Zwangsläufigkeit und gesellschaftliche Pflicht zu begreifen, sondern als freie, bewußte Entscheidung – abhängig vom Zutrauen zu den eigenen emotionalen, pädagogischen und materiellen Fähigkeiten und der Stabilität der Partnerschaft –, das ist kein persönlicher Luxus. Das ist auch ein Sieg der Verantwortung über sture Konformität.
Heute lamentieren Politiker über den hohen Anteil von Kindern, die nach gescheiterten Beziehungen bei nur einem Elternteil aufwachsen, runzeln die Stirn über steigende Jugendkriminalität, beklagen die knappe Zeit, die Eltern heutzutage für ihre Kinder übrig haben – aber welcher Politiker stellt Eltern die Frage: Wie konnten Sie es verantworten, unter diesen persönlichen Vorzeichen Kinder in die Welt zu setzen? Wissen Sie, was es den Staat kostet, ihre Gören von der Straße zu holen oder Psychomacken zu kurieren?
Wie man dem Nachwuchs ein kinderfreundliches Umfeld schaffen kann, darüber wird im Zuge der Sparpolitik weniger diskutiert denn je. Statt dessen geistern populistische, effektheischende und abenteuerliche Vorschläge durch den Raum, wie „Kinderbesitzende“ gegenüber Kinderlosen bevorteilt werden könnten. So will Berlins Justizsenatorin Lore Peschel-Gutzeit (SPD) Eltern für jedes minderjährige Kind zusätzliche Wählerstimme zuteilen. Verfassungsrechtlich ist dieser Vorschlag ein Mirakel, seine politische Logik dumpf: Wer ein Kind hat, wählt demnach auch eine kinderfreundliche Politik, wer viele Kinder hat, eine megakinderfreundliche Politik. (Merkwürdig nur, daß eine Gesellschaft, die mehrheitlich aus Eltern besteht, das bisher versäumte). Der herumbrüllende Vater an der Supermarktkasse, der seinem Dreijährigen zur Strafe für das Dauerweinen noch kräftig eines hinter die Ohren haut und sich dann handfest-drohend jede Einmischung der Umstehenden verbittet: „Haben Sie überhaupt Kinder? Dann halten Sie die Klappe!“, darf sich nach solchen Vorschlägen glücklich schätzen. Er käme auf sechs Stimmen bei der nächsten Bundestagswahl – Gnade! Vera Gaserow
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