Brüder und Schwestern in Licht und Liebe

■ Club-Hopping als Familienzusammenführung im Love-Parade-Jungle - wann und wo es zu Verschmelzungseffekten kommt, ist allerdings unerforschbar. Zugereiste befanden dennoch: "Es gibt einfach einen ir

Nachdem Dr. Motte die TänzerInnen zur Familie geweiht hat, konnte in den letzten Nächten überprüft werden, ob es sich bei den Party-People der Love Parade wirklich um Brüder und Schwestern handelt. Angefangen gleich dort, wo sich die Elterngeneration eingerichtet hatte, bei der Licht und Liebe Party in der Arena. Hier feierte Papa Motte und das Low Spirit Label ein Fest mit DJ-Freunden („Veteranen der Love Parade“, wie sie im Begleitheft heißen) und bildeten damit den Traditionskern, die Volksmusikstube der Abendunterhaltung. Techno- Hitproduzenten wie WestBam legten hier auf, und vielleicht lag es an deren Überzeugung, die einzig rechtmäßigen Bewohner des Techno-Olymps zu sein, daß sich die Party dort eher als spannungslose Routineveranstaltung entpuppte. Dieser Familienzweig zeichnete sich äußerlich durch eine Vielzahl der seitlich zu knöpfenden Adidas- Turnhosen zum drüber Tragen, kahle Schädel und Baseballkappen aus. Bei den Frauen blieb es zwischen Plastik-Schnürkleidern, Push-up-Bra und bei den bauchfreien T-Shirts, auf denen Comic- Girlies in wackeligen 3-D-Fakes klebten. Die Atmosphäre glich zwischenzeitlich der eines Bull-riding Contest texanischer Farmer. Weil an diesem Wochenende aber tanzen und nicht ,Abgründe des Freizeitvergnügens‘ auf dem Plan stand, war ein Ortswechsel unausweichlich. Im Panasonic traf man auf die keine-Lust-auf-Love-Parade-Party, bei der Tapes die DJ-Arbeit erledigten und man sich mit verläßlich gutem Minimal-House vor den kommenden Techno-Ohrwürmern feien konnte.

Das alternative Vergnügungsparkerlebnis – die Lovestern Galaktika Party in der Kulturbrauerei – war nach halb zwei Uhr Terra incognita für solche, die sich nicht lange vorher Karten besorgt hatten. Klar, daß Steve Mason, Afrika Islam, George Morel und all die andern DJs, die dort Techno, House und Funk/Elektro auflegten, ihre AnhängerInnen mitbrachten. Der Typus PartygängerIn, der hier anzutreffen war, gutgelaunt, weniger bedrogt, in casual styling, war vor allem an der Kompaktlösung interessiert. Anders als die Club-Hopper wollten sie sich nach den DJ-Zeitplänen richten und von Party zu Party, von Club zu Club zu hetzen, um auf gar keinen Fall Hell, Väth oder Blake Baxter zu verpassen. Die Kulturbrauerei hat mit dem bunten Abend und der Videoübertragung aus anderen Locations die zentralen Bedürfnisse befriedigt: Auf einer Party sein, und nicht das Gefühl zu haben, irgend etwas zu verpassen. Und wenn, dann wenigstens zu wissen, was und wo.

Aber auch hier war wenig zu spüren von der immer wieder beschworenen ,Love Peace Happiness‘ Atmosphäre. Offensichtlich hat die Familie Kommunikationsprobleme, denn nicht jeder ist gleich Teil der großen Gemeinschaft. Schweigend stehen junge Menschen beisammen, Haare und Bart frisch angemalt, schon im Anfangsrausch scheint sich die Enddepression zu manifestieren. Anders dagegen die in Männergruppen angereisten Ausflügler, die es sich hier in Berlin mal so richtig geben wollen. Voll bis oben hin, skandieren sie in bierverschwommenem, zackig-militärischem Kommandoton: „Rave-Nation rules“ oder „We are one family“.

Nach dem Pfefferberg folgte das Suicide. Hier rockten Rok und Hell das Haus. Und es schien, wie im Panasonic, das Treffen derer zu sein, die man auch an Wochenenden ohne Love-Parade trifft, wenig Aufgemotztes. Spannende DJ- Sets brachten beide Räume zum Toben. Hier hatte sich die Idee der tanzenden Community, die magnetisch zusammengehalten wird und sich immer weiter in den Beat treibt, verwirklicht. Glückliche, naßgeschwitzte Gesichter verlassen diese Party am Ende. Zwischenstopp im Frisör, der, ganz im Gegensatz zu den vorhergehenden Jahren, fast leer war. Seltsame unerforschbare Welt der Zufallsverteilung. Ganz unerklärlicherweise scheinen sich Jungle und Techno an diesem Wochenende überhaupt nicht zu vertragen. Bei Bass Dee im Frisör-Keller wollte, trotz hervorragender Musik, niemand tanzen, und auch als die Evidence Hall des E-Werks, Waxdoctor, Fetish und Chaos ebenfalls Jungle und Drum and Bass auflegten, war es fast leer. Ganz im Gegensatz dazu die große Twirl-Halle im E-Werk. Hier beträgt der Verschmelzungsgrad fast 100 Prozent. Der Leib wird Träger der Musik. Hier ist nur, wenn zwischendurch das Licht angeht, eine Person von der anderen zu unterscheiden, bei Strobo- Bewerfung wird die TänzerInnenschaft zu einer schwitzigen, verzückten, selbstverliebten zuckenden Masse. Mit Hilfe der irren Akustik, der hohen, gekachelten Wände, der lauten, pumpenden, die Herztöne erhöhenden Musik wird aus den gerade Angekommenen im Handumdrehen ein weiteres Teilchen der E-Werk-Ekstaten. Erkundungsfahrten in Tresor und Kulturbrauerei bringen das immer gleiche Überfüllt-Ergebnis. Der Playground hat um sieben Uhr morgens eine optimale Verteilung. Im Gegensatz zu den deutlich heterodominierten Clubs ist hier doing gender angesagt. Zwischen Dolce & Gabana und Designerklamotten waren hier eindeutig die bestgekleideten Party-Diven zu sehen. Hier war man auf vier Parties mit den Klängen von Jungle bis Disco-Dancing phantastisch versorgt. Zwei Stunden später sitzen zwei junge, dynamische Braungebrannte, die sich gerade erst kennenlernten, in der U-Bahn. Sie prahlt mit den Besitztümern ihrer Eltern, er mit seinem Urlaub im Robinson-Club in Mexiko. Er: „Ich fand es ganz irre, wie die Love Parade gezeigt hat, daß es einfach einen irren Zusammenhalt zwischen der Jugend hier gibt.“ Sie: „Jetzt weiß man, daß hinter der Jugend hier mehr steckt als man so gemeinhin annimmt.“ Der Typ neben ihnen, im pinkfarbenen Rock mit dem aufgenähten Sonnenblumenhintern plus gelben extra langen Wimpern rollt dramatisch die Augen: „This is ruining my day.“ Zu dieser Familie will er nicht gehören. Annette Weber