Der Streit um ein Gewissen

■ Plädoyers im Prozeß Tamar S.: War die Befreiung des Frauenmörders Thomas Holst human oder kriminell?

Seelische Zwangslage, Helfersyndrom oder fanatischer Idealismus: Was Tamar S. veranlaßte, im September vorigen Jahres den „Heidemörder“ Thomas Holst aus der forensischen Psychiatrie des AK Ochsenzoll zu befreien, interessiert die Staatsanwaltschaft nicht. Mit stoischem Blick hatte Staatsanwältin Claudia Knoll die Hauptverhandlung verfolgt; gestern bestätigte sie in ihrem Plädoyer, was sie bereits in der Anklage vorgetragen hatte.

Knoll geht von einem Liebesverhältnis zwischen der lesbischen Therapeutin und ihrem persönlichkeitsgestörten Patienten aus. Folglich sei die Fluchthilfe aus „egoistischen“ Motiven geschehen. Sie besteht weiterhin darauf, daß Tamar S. mit Holst nach Israel fliehen wollte; in ein Land mit kaum zu überbietenden Sicherheitskontrollen. An altruistische Motive der Angeklagten glaubt sie nicht: „Es war keine humanitäre, sondern eine kriminelle Tat“, über etwaige Mißstände in der Psychiatrie „sitzen wir hier nicht zu Gericht“. Knolls Forderung: zwei Jahre und 9 Monate Haft sowie die Beschlagnahme des Barvermögens der Angeklagten, das „Fluchtgeld“.

Tamar S. „egoistische Motive zu unterstellen, ist unzulässig“, konterte Verteidiger Udo Jacob in seinem Plädoyer. Das zu behaupten, ohne es zu beweisen, sei „juristisch kein guter Stil“. Alle Beweisanträge der Verteidigung, die zahlreiche Zeugen aus dem AK Ochsenzoll hören wollte, waren vom Gericht negativ entschieden worden, die Staatsanwaltschaft hatte keine Beweisanträge gestellt.

Die Mißstände im Haus 18 des AK Ochsenzoll zu beweisen, sei das Ziel seiner Mandantin gewesen. Sie habe „Anklage im untechnischen Sinne“ erhoben. Ihr „Idealismus traf auf eine Psychiatrie-Realität, die sie maßlos enttäuscht hat“, sagte der Verteidiger. Aktenmanipulationen, Mißachtung des Datenschutzes und die Verlegung eines Patienten ins Gefängnis seien „Schlüsselerlebnisse“ gewesen, die berücksichtigt werden müßten. Tamar S. habe sich in einer „seelischen Zwangslage“ befunden.

Das Urteil wird am Donnerstag verkündet. Silke Mertins