„Schlimm wie Scientology“

■ Der Sektenberater Brünjes über den „Psychopraktiker“ Siebel, ehemals Pastor

Für Bernhard Brünjes, Vorsitzender der Bremer Sektenberatung e.V., ist Walter Alfred Siebel aus Völkersen neben Scientology der „größte Sektenfeind“ (s.a. Kasten). Seit Ende der Achtziger versucht Brünjes über Siebels Psychopraktiken aufzuklären. Im September wird vor dem Oberlandesgericht Celle eine Berufungsklage von Brünjes verhandelt, der nicht mehr weiterverbreiten darf, daß Siebel wegen „fehlender sittlicher Zuverlässigkeit“ der Heilpraktikertitel verweigert wurde. Im Versteckspiel mit der Sektenberatung hat Siebel nun seinen einstigen Verein in „Gesellschaft für Noosomatik und Nooanalyse e.V.“ umbenannt.

taz: Es scheint ein bißchen ruhig geworden zu sein um Walter Alfred Siebel. 1989 traten die ersten Menschen aus seiner damaligen „Gesellschaft für Psychopraxie“ aus und sorgten für öffentliches Aufsehen. Kennen Sie AussteigerInnen aus jüngster Zeit?

Bernhard Brünjes: Nein. Das gab ja damals 1989 einen gewaltigen Schub, weil Siebel zuvor, seit er 1980 auf den Psychomarkt gegangen war, eher verdeckt gearbeitet hatte. Als sich die ersten AussteigerInnen meldeten, kamen bis zu hundert Leute zu unseren Informationsabenden. Dann flachte das Interesse naturgemäß ab.

Wissen Sie von neuesten Aktivitäten Siebels?

Neu sind Fortbildungsveranstaltungen im Bereich der Noosomatik, Nooanalyse, Noologie, wie es jetzt heißt. Die neue „Sektion Weiterbildung“ der Gesellschaft hat dazu Einladungen verschickt.

Wie haben Sie das erfahren?

Solche Unterlagen erhalte ich von Ehemaligen oder Betroffenen, die Angehörige in dieser Gemeinschaft wissen. Denn Siebel wird sich hüten, sein Auftreten mir zu präsentieren.

Haben Sie ihn schon einmal getroffen?

Ich habe ihn mal auf einem seiner Kongresse in der Vorhalle getroffen. Wir sind zwar nicht ins Gespräch gekommen, aber wir kennen uns. In seinem neuen Info „WAS gibt es Neues?“ – WAS für Walter Alfred Siebel –bezichtigt er mich wieder einmal der Lüge.

Wenn Siebel Kongresse veranstaltet, geht er mit seinen Theorien und Praktiken ja doch an die Öffentlichkeit.

Das sind Kongresse, die einmal im Jahr im Queens-Hotel in Bremen abgehalten werden. Sie sind nur dem Fachpublikum zugänglich. Die eingeladenen Referenten werden als Feigenblätter benutzt. Das heißt, man ist dort doch eher ein geschlossener Kreis aus Siebelianern.

Rund um Siebels Hauptsitz in Völkersen hat sich im Landkreis Verden ein ganzes Netz von Siebelianern ausgebreitet. Sie sollen nicht nur in den Kinderheimen des Siebelschen Trägervereins „Al Tosom“ nach seiner „Lehre“ arbeiten, auch in öffentlichen und kirchlichen Kindergärten, in Kirchenvorständen, in kommunalen Verwaltungen soll es SiebelanhängerInnen geben. In Bremen war eine Zeit lang die sogenannte HEB, die Human-Elementare-Beratung, als Unternehmensberatung aktiv. Hat sich das Netz weiter auf Bremen ausgebreitet?

Die HEB gibt es nicht mehr. Ich weiß allerdings von Bremer LehrerInnen, die für Siebel und seine Lehre werben. Aus den Kinderheimen von „Al Tosom“ mußte Siebel Ende der Achtziger auf Druck des Landesjugendamtes als Supervisor aussteigen. Man hat das Erziehungspersonal ausgewechselt. Nur im Vorstand ist immer noch ein Siebelianer, ein Urgestein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er der Lehre abgeschworen hat.

Ist das Siebel-Netz noch nachvollziehbar?

Es war mal ganz einfach nachvollziehbar. Nur ist das wie bei allen Psychokulten: neue Organisationen werden gegründet, alte verschwinden. Und die Struktur ist kaum mehr zu rekonstruieren. Die HEB zum Beispiel ist ins Westfälische umgesiedelt, dort habe ich sie aus den Augen verloren.

Sie haben schon mehrmals Streitereien angezettelt, weil sie SiebelianerInnen geoutet haben.

Das Erschreckende und Erstaunliche ist ja, daß bei Siebel sehr viele Mediziner mitmachen. Und da bin ich durchaus bereit, Namen zu nennen. Da ist zum Beispiel Frau Doktor Brigitte Seitz-Bernhard in Bassum, sie ist Vorsitzende der Gesellschaft für Noosomatik. Dann gibt es einen ganz engen Mitarbeiter von Siebel, das ist ein Doktor Thomas Winkler, der ist im Frankfurter Raum zu Haus. Er und auch die Ärztin Daniela Winkler aus Bremen-Huchting haben des öfteren für Siebel publiziert.

Jetzt wird es wieder Beschwerden und Klagen geben.

Ja, jetzt wird es wieder deftig werden. Wir hatten ja einmal einen Fall, einen Zahnarzt Sommer aus Ottersberg, gegen den wir prozessiert haben. Doktor Sommer hat Patienten während der Zahnbehandlung Gespräche bei Siebel angeboten. Er konnte angeblich nach dem Zahnbild ein psychisches Defizit feststellen.

Ist das Siebels Hauptquelle, die Empfehlung durch seine Anhängerinnen und Anhänger?

Siebel macht das wie die traditionellen Sekten, er missioniert beziehungsweise indoktriniert seine Mitglieder. Der Zulauf bei Siebel funktioniert nur über Mund-zu-Mund-Propaganda. So nach dem Motto: Ich seh Dir an, Dir geht's schlecht – ich hab da was für Dich.

Sehen Sie überhaupt Möglichkeiten, Siebel beizukommen?

Ich bräuchte mal einen Ehemaligen, der sagt: Der hat mich finanziell gerupft, und die Gegenleistung habe ich nie erhalten. Und Siebel hat meine Psyche zerstört. Das müßte mal dingfest gemacht werden. Denn dann wäre das, was Siebel macht, nicht mehr Beratung, sondern Ausübung der Heilkunde. Und wir können ihn nach dem Heilpraktikergesetz anzeigen. Aber leider scheuen sich die Menschen, das zu sagen.

Haben sie etwas zu befürchten?

Ob die Leute nun Angst haben und von Siebel bedroht werden – ich weiß es nicht genau.

Was werden Sie als nächstes gegen Siebel tun?

Was wir genau tun, kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht sagen. Es wird allerhöchste Zeit, daß ein Gesetz zur gewerblichen Lebenshilfe verabschiedet wird. Die Gesetze des Verbraucherschutzes müssen erweitert werden, um das Angebot auf dem Psychomarkt unter Kontrolle zu bekommen. Siebel ist ein Scharlatan – und so eine destruktive Einflußnahme muß zur Anzeige gebracht werden können. Zuallererst aber gehört auf einen so groben Klotz wie die Siebel'sche Lehre ein ebenso grober Keil der Aufklärung. Meiner Meinung nach ist das, was Siebel fabriziert, ebenso schlimm, wie das, was Scientology macht – nur nicht in diesem Umfang. Siebel genügt sich im Augenblick noch damit, Macht auszuüben, Geld zu verdienen und sich ein angenehmes Leben zu machen. Über eine Auskunftei haben wir jetzt erfahren, daß er einen Umsatz über 500.000 Mark im Jahr macht. Als Pastor hätte er sehr lange dafür arbeiten müssen. Fragen: Silvia Plahl