"Die Peitsche wirkt wie ein Lesezeichen"

■ Der iranische Schriftsteller Abbas Maarufi über die Lage der Intellektuellen im Iran und die Fehler der deutschen Diplomatie

taz: Herr Maarufi, Sie können den traurigen Ruhm genießen, ein in der Literaturgeschichte einmaliges Schicksal zu erleiden: Sie sind aufgrund Ihres journalistischen Engagements zu Peitschenhieben verurteilt worden. Es ist auch einmalig, daß ein Angeklagter sein Land legal verlassen darf, bevor sein Gerichtsverfahren abgeschlossen ist. Nach dem iranischen Recht ist dies gesetzwidrig. Wie kam es dazu?

Abbas Maarufi: In der ersten Instanz tagte das Gericht nur dreimal. In meinem Urteil stand, daß der Angeklagte innerhalb von 22 Tagen Berufung einlegen könne. Dies habe ich am 19. Tag der Frist getan. In den Fristtagen hat mir Maurice Copithone, der Sonderbeauftragte der UN-Menschenrechtskommission im Iran, empfohlen, daß ich meine Haut retten solle.

Das Problem war nur: Ich hatte keinen Paß! Er war vier Monate zuvor beschlagnahmt worden. Dann hat man mich plötzlich angerufen und mir mitgeteilt, daß der Paß abgeholt werden kann. Gleichzeitig trat die deutsche Botschaft in Teheran mit mir in Kontakt und teilte mit, daß sich die Minister sieben europäischer Länder entschieden hätten, mir zu helfen, damit ich mein Land verlassen kann. Ich durfte mir aussuchen, wohin ich gehe. Ich wollte nach Deutschland. Ich habe nur meinen Füller mitgenommen und bin zusammen mit dem Botschafter ins Flugzeug gestiegen.

Sie haben einmal den eigenartigen Satz gesagt, daß Sie für diese ihnen angedrohten Peitschenhiebe sogar bezahlen würden. Das klingt einigermaßen masochistisch.

Ich wollte nie in meinem Leben geschlagen werden und habe auch niemanden geschlagen. Das Schlagen verletzt die Menschenwürde. Heute schlägt man nicht einmal mehr die Tiere. Ich hätte aber für die Peitschenhiebe bezahlt, weil ich der Weltöffentlichkeit zeigen wollte, daß die islamische Regierung zu jedem Verbrechen, jeder Unmenschlichkeit fähig ist. Sie schlagen, weil sie weiter regieren wollen. Sie schlagen, um ihre Ängste zu verstecken. Wenn sie die Peitsche so benutzen, wird sie allerdings zu einem Lesezeichen. Ich wollte dieses Lesezeichen.

Sie haben in einem Interview gesagt, daß Sie in den Iran zurückkehren wollen. Was glauben Sie, wie man Sie empfangen würde?

Unter diesen heutigen Umständen zurückzukehren, das wäre idiotisch. Nach der Bekräftigung des Urteils würde ich sofort verhaftet und ins Gefängnis gesteckt werden. Trotzdem träume ich davon, in den Iran zurückfliegen zu können und mich an dem Aufbau meines Landes zu beteiligen.

Aber das könnte doch wohl nur unter einer anderen Regierung sein, denn das Urteil gegen Sie wird unter einem islamischen Regime immer gültig sein.

Wenn die islamische Regierung sich beim Iranischen Schriftsteller- Verband entschuldigen würde, wenn sie ihre Fehler einsehen würde, dann käme das schon einer Reform in diesem Land gleich.

Im Februar dieses Jahres, nachdem das Urteil gegen Sie gefallen war, sagten Sie der taz gegenüber, daß Sie den Iran nie verlassen würden. Warum haben Sie Ihre Meinung inzwischen geändert?

Die Verhältnisse im Iran wurden in der Zwischenzeit unerträglich. Inzwischen wurde mein Kollege Ahmad Amir Allaie ermordet. Ich bin mehrmals verhört worden. Vor allem aber war es meine besorgte Mutter, die mich überredet hat, das Land zu verlassen. Viele meiner Freunde befinden sich in einer schlimmeren Situation als ich. Sie sind ständigen Repressionen ausgesetzt, sie werden immer wieder verhört, ihre Telefongespräche werden abgehört. Dies alles hat mich dazu gebracht, das Land zu verlassen.

Hat der deutsche Botschafter Ihren Freunden seine Hilfe nicht angeboten?

Ich habe in meiner Rede vor kurzem auf der PEN-Versammlung in Heidelberg diesen Punkt angesprochen. Ich habe gefragt: Warum warten Sie mit Ihrer Hilfe, bis das Leben eines Schriftstellers bedroht ist? Die Situation der Schriftsteller im Iran ist unerträglich.

In so einer Lage spielt die Haltung des deutschen Außenministers eine entscheidende Rolle. Wenn die islamische Regierung auf den internationalen Dialog so viel Wert legt, wie sie immer behauptet, dann muß sie zuerst einen Dialog in ihrem eigenen Land mit ihren eigenen Bürgern führen. Wenn sie dies täte, wäre es legitim, wenn Herr Kinkel mit den Machthabern das Gespräch suchte. Aber die derzeitige Lage ist so: Da ist ein Vater, der nicht mehr mit seinen Kindern spricht. Was für eine Rolle kann dann der Nachbar in ihren Auseinandersetzungen spielen? Die unentschiedene Haltung der deutschen Regierung ist ein Verrat an den Iranern.

Wie sind die Folgen für die literarische und künstlerische Entwicklung im Lande?

Die Unterdrückung der Intellektuellen beeinträchtigt die demokratische Entwicklung. Es gibt im Iran heute keinen soliden Boden für den literarischen Nachwuchs. Unsere jungen Dichter haben keine Möglichkeit, ihre Meinung zu äußern. Und dabei gibt es viele junge Talente in den verschiedenen Städten, in Boscher, in Lahidschan, in Rafsandschan. Interview: Fahimeh Farsaie