Keine Wimper zuckt

■ Wird der Berliner Sänger und Dichter Max Müller das Hamburger Publikum auch ohne die Unterstützung seiner Band „Mutter“ bestürzt hinterlassen?

Mit seiner Gruppe Mutter hinterläßt der Berliner Sänger Max Müller seit 1989 bestürzte Publiken, die ihre Lernfähigkeit wiederentdecken. Müller singt unverklausuliert, sachlich, mit Respekt und ohne mit der Wimper zu zucken. Wo andere – sagen wir mal, der Theaterregisseur Frank Castorf oder der Filmemacher Christoph Schlingensief – nur den Stoff zur geilen, irritierenden, aufmerksamkeitssichernden Tabubrechung entdecken, macht Müller Lieder, die den bloßen Effekt hinter sich gelassen haben und letzte Wahrheiten durch allerletzte Sätze ersetzen.

Max Müller ist außerdem einer jener Dichter, die sich weder durch die Teilnahme an Veranstaltungen in Klagenfurt noch durch Aufzeichnungen während winterlicher Reisen ins rechte Licht setzen müssen. Von den Sängern in diesem Land hat er vielleicht am besten den Moment kennengelernt, in dem sich das lange dekonstruierte Subjekt zum Sterben bereit macht und in seinen letzten Sekunden nicht sein Leben, sondern das ganze Ausmaß aller zusammengenommenen Legitimationen vorüberziehen sieht.

Wäre Müller nicht so zum Hingucken und zum Sachlichbleiben bereit, man könnte annehmen, daß ihn in gewissen Momenten ein Teufel reitet und er in ein paar Jahren zum Katholizismus konvertiert. Aber Max Müller ist schließlich auch ein Mitmensch von der Sorte, der Schallplatten macht, entweder mit seiner erdverbundenen Band oder, wie im vergangenen Jahr, ganz allein zu Hause mit beiseitegelegten Liedern und Aufnahmeschnipseln.

Auf der aus diesem Material zusammengestellten Solo-Platte ist eigentlich fast alles gelungen, die Ausnahme bildet der ohne besondere Einsehbarkeit über einem Techno-Rhythmus wiederholte Satz: „Ihr benehmt euch wie Schweine.“ Aber vielleicht hält eine solche Kombination für zwingend, wer einen Großteil seiner Zeit mit einer schwer Dampf machenden, wenn auch schön zäh aufspielenden Rock-Gruppe verbringt.

Den Auftritt in der „Hörbar“ absolviert Müller ohne die Rock-GruppeMutter, die auf der jüngsten gemeinsamen Platte Nazionali ein bißchen zu sehr auf das Dramatisieren und Bauschen von Stückideen setzte. Müllers Auftritt läßt viele Annahmen zu, betulich wird es kaum werden. Denn es ist durchaus möglich, daß der eine oder andere Interessierte die Brigittenstraße als jemand anders verläßt, als der er gekommen ist. In diesem Sinne darf mit einem perfekten Abend gerechnet werden. Kristof Schreuf

Fr, 19. Juli, 21 Uhr, B 5 (Brigittenstr. 5)