Nach der Räumung zur Durchleuchtung

■ Innensenator Schönbohm verteidigt die Räumung der Wagenburg an der East Side Gallery. TBC-Verdacht sei „kein Räumungsvorwand“. Spandauer protestieren gegen Ersatzgelände in Staaken

Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) hat die Räumung der Wagenburg an der East Side Gallery nachdrücklich verteidigt. Der Innensenator gab neben dem Räumungsbegehren des Grundstückseigentümers – dem Bundesvermögensamt – auch den Verdacht auf Tuberkuloseerkrankungen als Grund für die überraschende Aktion an. „Was sich da abspielte, war ja unerträglich“, erklärte Schönbohm gegenüber der taz. Ein Vorwand sei der TBC-Verdacht jedoch nicht gewesen: „Auch wenn es keine TBC gegeben hätte, wäre geräumt worden.“

Bereits vor einigen Wochen soll es auf dem Gelände der Wagenburg einen Fall offener TBC gegeben haben. Alle überprüften Personen mußten sich sofort untersuchen lassen, wofür extra eine „Schirmbildstelle“ in die Nähe des Geländes gebracht worden war, um mögliche Lungenerkrankungen festzustellen. Vier Bewohner wurden bei der Räumung von der Polizei festgenommen. Außerdem wurden 154 Fahrzeuge, die als Unterkunft dienten, von der Polizei überprüft. Die 260 eingesetzten Beamten fingen auch vier herrenlose Hunde, fünf Katzen und ein Huhn ein.

Für die Bewohner der East Side Gallery kam die Räumung völlig überraschend. Viele beschwerten sich, weil sie keine Gelegenheit bekamen, ihre persönlichen Habseligkeiten einzupacken. 150 Menschen seien durch die gestrige Aktion schlagartig obdachlos geworden, erklärte Ursula Wendorf vom Treberhilfe e.V.. Sie fungiert seit zwei Jahren als Streetworkerin und Vermittlerin zwischen den Rollheimern und den offiziellen Stellen. Viele hätten an der East Side Gallery sogar ihre Meldeadresse. Eine Gruppe von etwa zwanzig Frauen und Männern habe bereits angekündigt, auf dem grünen Mittelstreifen vor ihrer mittlerweile durch Zäune gesicherten Wagenburg zu bleiben.

„Auf das Ersatzgelände nach Staaken wird wohl keiner gehen“, glaubt Ursula Wendorf. Das sei nicht nur zu weit draußen. Die Leute, die über nur sehr geringe Einkommen verfügen oder vom Schnorren leben, fürchteten auch den Zorn der Bevölkerung am Rande von Berlin. „Hier, hinter der Gallery, konnten sie eigentlich recht abgeschottet leben, Nachbarn, die sich belästigt gefühlt hätten, gab es nicht.“

Mit Verweis auf die von der Polizei verordnete Röntgenuntersuchung der East-Side-Bewohner sprach ein AStA-Vertreter der Freien Universität (FU) davon, daß im „groben Maße die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte“ der BewohnerInnen verletzt worden seien. Auch die PDS protestierte gegen die Räumung und kritisierte den Senat, die City „hauptstadtrein kehren“ zu wollen. So sei die Räumung der Wagenburg ohne Vorinformation der BewohnerInnen und ohne Absprache mit den zuständigen Bezirksämtern erfolgt. Wolfgang Wieland, Fraktionschef der Bündnisgrünen, kritisierte den Einsatz als „übereilt“. Er warf Schönbohm vor, „mit geradezu neurotischem Putzzwang“ an soziale Randgruppen heranzugehen.

„Ersatz“ für die geräumte East Side Gallery soll ein Grundstück in West-Staaken im Bezirk Spandau nahe dem ehemaligen Flughafen Staaken sein, ein nach dem Mauerfall stillgelegtes, eingezäuntes, verfallenes Stahllager. Hier gibt es keine sanitären Anlagen, außerdem soll der Boden verseucht sein. Laut Schönbohm sei es jedoch nicht sicher, ob dieses Gelände zur Verfügung gestellt werde. Dies läge in der Verantwortung der Sozialverwaltung, die für das Thema Obdachlosigkeit zuständig sei. Schönbohm glaubt nicht, daß sich viele Wagenburgler in Staaken einfinden. Einige werde sich in „ärztliche Behandlung begeben müssen“, sagte Schönbohm und verwies auf „gesetzliche Grundlagen“ bei TBC-Verdacht. Außerdem werde sich ein „Teil der rollenden Unterkünfte gar nicht fortbewegen können, da sie nicht verkehrssicher sind.“ Auf jeden Fall müsse von Beginn an sichergestellt werden, daß sich in West-Staaken nicht wieder „Zustände“ wie an der East Side Gallery herausbildeten.

Gegen die potentiellen neuen Nachbarn regt sich in Spandau bereits Widerstand. Gestern demonstrierten rund 30 AnwohnerInnen vor dem Rathaus Spandau. Weil sich in der unmittelbaren Nachbarschaft des neuen Grundstücks eine Grundschule und vier Kindergärten befänden, würden sich die Familien der erst vor einigen Jahren fertiggestellten Einfamilienhaussiedlungen erheblich verunsichert und bedroht fühlen, so der Tenor der Demonstranten. Auch der Bezirksbürgermeister Konrad Birkholz (CDU) ist über den neuen Standort wütend. „Wutschnaubend und mit großer Empörung“ habe er zur Kenntnis genommen, daß der Senat in einer nichtöffentlichen Sitzung am Dienstag die Verlagerung der Wagenburg nach Spandau beschlossen habe. Für ihn sei es unverständlich, daß der Senat nur versuche, ein „Innenstadt- Problem“ nach Spandau zu verlagern, ohne ernsthaft darüber nachzudenken realistische Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Julia Naumann, Kathi Seefeld