Kindermord, Kinderspaß

■ "Allgäuer Zeitung" wollte Beitrag einer Romanautorin nicht drucken

Im bayerischen Kaufbeuren und im nahegelegenen Irsee wurden in der NS-Zeit 2.000 Behinderte und psychisch Kranke von Ärzten und Pflegern getötet. Opfer der Euthanasie-Aktionen und medizinischen Experimente in der Heil- und Pflegeanstalt waren auch 200 Kinder, zum Teil ließ man sie einfach verhungern. Diese mörderische Vergangenheit des Allgäu ist Thema des jüngst erschienenen Romans „Kielkropf“ der Hamburger Autorin Monika Köhler.

Sie setzt die Tötung der damals als „Ballastexistenzen“ bezeichneten Kinder in Beziehung zu einem traditionellen, bis heute in der Stadt Kaufbeuren stattfindenden fröhlichen Kinderumzug, dem Tänzelfest. Dabei spielen Jungen und Mädchen zur Sommerzeit in historischen Trachten und Uniformen die Geschichte Kaufbeurens nach – die dabei freilich nur bis zum Biedermeier reicht.

An diesem Wochenende wird das Tänzelfest in Kaufbeuren wieder gefeiert. In einer Festbeilage der örtlichen Ausgabe der Allgäuer Zeitung sollte eigentlich ein Beitrag von Monika Köhler erscheinen. Doch dazu kam es schließlich nicht. Die Zeitung sagte eine Woche vor dem Erscheinungstermin ab – gegen Angebot eines Ausfallhonorars. In ihrem Beitrag fordert die Autorin die Kaufbeurer zu einer offensiven Auseinandersetzung mit der NS- Vergangenheit auf. Man solle anläßlich des Tänzelfests auch an den Kindermord erinnern. Nicht im bunten Festumzug, aber doch mit ein paar Worten bei der Eröffnung der Feierlichkeiten, Gesprächen im Schulunterricht, Hinweisen im Heimatmuseum, Andacht in der Kirche.

Natürlich, so Köhler, lasse sich der Abtransport der Opfer nicht mittels „nostalgischer Kutschen“ darstellen, der „Hunger nicht mit Kostümen“, doch müsse es möglich sein, „jener Kinder zu gedenken, die nicht tänzelten, die zu schwach waren und nicht dazugehörten“.

Doch das war der Allgäuer Zeitung wohl schon zuviel. Sie brachte zwar die Köhler-Vorschläge in einem redaktionellen Beitrag vom 12. Juli, lehnte aber den bestellten Originalbeitrag für die Verlagsbeilage noch am gleichen Tag ab. Begründung von Karl Köberle von der Anzeigenabteilung gegenüber Monika Köhler: „Wir möchten davon Abstand nehmen, diese Problematik in unserer Beilage nochmals aufzugreifen.“ Dem redaktionellen Artikel, in dem skeptische Äußerungen gegenüber Köhlers Vorschlägen breiten Raum einnehmen („Soll ein Geisterzug mitmarschieren oder ein SA- Bataillon?“) sollte wohl nichts mehr folgen, was die Feststimmung hätte trüben können.

Gegenüber der taz begründete Anzeigenmann Köberle die Absage für Monika Köhler mit „Platzgründen“, außerdem habe man „das Tänzelfest nicht mit dem Thema überlagern“ wollen. Aus der Redaktion der Allgäuer Zeitung sind da offenere Worte zu hören: „Das paßte wohl nicht ins PR-Konzept.“ Hans-Hermann Kotte

Monika Köhler: „Kielkropf“. Volk und Welt, 352 Seiten, 34 DM