piwik no script img

„Dann müßt ihr hier raus“

Ostslawonien fällt wieder an Kroatien zurück. 40.000 Krajina-Serben und 7.000 bosnische Serben aber leben jetzt in den Häusern von Kroaten  ■ Aus Vukovar Erich Rathfelder

Das Zentrum der einst berühmten Barockstadt Vukovar ist immer noch von Ruinen übersät. Die Straßen sind zwar freigeschaufelt von dem Geröll der zerschossenen Häuser. Und hier und da ist ein Café eingerichtet. Doch kaum ein Haus oder Geschäft wurde wiederaufgebaut. Die serbischen Bewohner der ostslawonischen Stadt haben nichts getan, um die Spuren des Krieges zu verwischen.

Zufall? Schlamperei? Geldmangel? Vielleicht auch ein bißchen schlechtes Gewissen, meint eine UN-Mitarbeiterin, die seit Jahren hier vor Ort lebt. Daß Vukovar auf ewig serbisch bleiben würde, sagt sie, habe wohl schon kurz nach der serbischen Eroberung der Stadt im November 1991 niemand so recht glauben wollen. Vier Jahre nach Kriegsbeginn wurde der Vertrag von Erdut unterschrieben. Er garantiert die friedliche Reintegration Ostslawoniens mit fast 150.000 Einwohnern in den kroatischen Staat.

Mit Hilfe der UNO-Truppen und des US-amerikanischen Vermittlers und „Administrators“ Jacques Klein wurden die Weichen gestellt. Am 20. Juni wurden die serbischen Truppen demobilisiert oder zogen sich nach Serbien zurück. Die kroatischen Truppen sind ebenfalls von den ehemaligen Demarkationslinien abgerückt. Schon am 7. Mai war die Autobahn Zagreb–Belgrad wiedereröffnet worden. Allerdings nur für den internationalen Verkehr, Kroaten wie Serben ist es verwehrt, auf dieser Straße in die Hauptstadt des anderen Staates zu fahren.

Sir Arnold, der Sprecher der UN-Truppen – der UN-Transnational Administration for Eastern Slavonia (UNTAES) –, ist dennoch stolz auf die Erfolge. Eine gemeinsame Polizeitruppe nehme noch im Juli ihre Arbeit auf, je 350 Serben und Kroaten, gibt er an. Und daß seit dem 20. Mai das Telefonsystem wieder mit Kroatien verknüpft ist, daß über den wirtschaftlichen Wiederaufbau diskutiert wird, daß die Eisenbahnverbindungen hergerichtet wurden, daß die Ölquellen der Baranja wieder unter kroatische Oberhoheit gelangen, interpretiert er als ermutigende Zeichen. Im nächsten Jahr sollen Wahlen abgehalten und der Prozeß der Integration abgeschlossen werden.

Vukovar liegt an der Donau. An den Ufern des Flusses tummeln sich Kinder und Hunde. In einem Restaurant werden Fischspezialitäten angeboten. Flach ist die Landschaft hier auf beiden Seiten des Stroms. Die Donau und ihre Nebenflüsse haben ein fruchtbares Schwemmland geschaffen, das nicht nur weite Teile Slawoniens, sondern auch der benachbarten Wojwodina und des im heutigen Rumänien liegenden Banats umfaßt.

Um nach dem Sieg über die Türken dieses verwüstete Gebiet wieder zu bevölkern, hatte die österreichisch-ungarische Kaiserin Maria Theresia im 18. Jahrhundert die Völker ihres Reiches aufgefordert, hier zu siedeln. Es kamen Kroaten und Serben, Ungarn und Schwaben, Tschechen und Slowaken, Ruthenen, Italiener, Polen, Rumänen. Über 20 Nationen haben hier in Vukovar noch vor diesem Krieg gelebt – bis die serbischen Nationalisten die Stadt 1991 zur „serbischen Stadt“ erklärten.

Slawonien, das Banat und die Wojwodina hatten angesichts ihrer gemischten Bevölkerung ein eigenes Regionalbewußtsein. „Der Chauvinismus und die Intoleranz sind immer von außen gekommen.“ Vuk ist einer der 90.000 alteingesessenen Slawonier serbischer Herkunft, die heute noch in Ostslawonien wohnen. Der selbstgebrannte Schnaps löst langsam seine Zunge. Dem vierzigjährigen Lehrer fällt es schwer, frei zu sprechen. Seit der Krieg begann, sei geistig alles so eingeengt, sagt er. Schon im Zweiten Weltkrieg sei durch die Verfolgung der serbischen Bevölkerung und die Ermordung Tausender in den Konzentrationslagern des damaligen faschistischen Ustascha-Staates die Gesellschaft zerrissen worden. „Nach 1945 wurden aus Rache die Schwaben verjagt, und Serben aus Bosnien sind nachgerückt.“ In Vukuvar habe es seither fast so viele Serben wie Kroaten gegeben.

Borovo Selo, ein Dorf nahe Vukovar, ist schon immer überwiegend serbisch gewesen. Die schmucken Einfamilienhäuser in Borovo Selo haben den Krieg unbeschadet überstanden. Hier flatterte schon im Frühjahr 1991 die jugoslawische Fahne. Von hier aus beschoß die jugoslawische Volksarmee 1991 die gegenüberliegende Neustadt. Moderne Wohnblocks, in denen hauptsächlich Kroaten wohnten, die in der expandierenden Schuhfabrik von Borovo Arbeit gefunden hatten. Kroaten, Ungarn und andere Bewohner mußten fliehen oder wurden getötet, wie in Vukovar, wie in der Nachbarstadt Ilok, wie in den Dörfern zwischen Vukovar und Osijek.

Nijemci heißt das Dorf, wohin erstmals seit 1991 kroatische Vertriebene wieder zurückgekommen sind. Nur zu Besuch allerdings. Zwei Schützenpanzer der jordanischen UN-Truppen begleiten sie. Die 13 Männer und die beiden Frauen gehen langsam und vorsichtig die Dorfstraße entlang. Die serbischen Bewohner haben sich in den Häusern verschanzt. Es herrscht Stille. Eine Gruppe der Vertriebenen bleibt stehen. Vor dem Haus, das der Familie gehört. Hastig werden innen die Vorhänge zugezogen. Eine serbische Flüchtlingsfamilie aus der Krajina hat hier Quartier bezogen. „Wir kommen wieder, dann müßt ihr hier raus“, ruft einer der Männer.

Solche Schnupperfahrten werden nun häufiger stattfinden. Im Herbst sollen die ersten Rückkehrer eintreffen. Die ursprünglichen Eigentümer werden dann ihre Häuser wieder in Besitz nehmen. Was passiert aber mit den serbischen Flüchtlingen, die jetzt in diesen Häusern leben? Nach Angaben der UN sind in den letzten Jahren 40.000 serbische Flüchtlinge und Vertriebene aus Westslawonien und der Krajina nach Ostslawonien gekommen. Ebenso rund 7.000 bosnische Serben. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR versucht, ein Wohnungsbauprogramm zu realisieren. 3.000 Wohnungen sollen es zunächst sein.

„So einfach ist das Problem nicht zu lösen. Die Kroaten können erst kommen, wenn die Serben wieder in ihre Häuser in der Krajina oder in Westslawonien zurückkehren können.“ Dragan Trbojević ist Sprecher der Regierung der „Serbischen Region Ostslawonien, der Baranja und Westsrem“. Seine Stimme klingt trotzig. Und doch ist ihm bewußt, daß nach der kroatischen Militäraktion im August 1995 für überzogene serbische Forderungen kein Raum mehr ist. Die Region sollte eine Autonomie erhalten, fordert er. Und er hofft darauf, in diesem Rahmen für die lokalen serbischen Behörden noch genug Einfluß und Macht zu sichern, um dem kommenden Integrationsprozeß beruhigt entgegensehen zu können.

Auch der kroatischen Regierung ist bewußt, daß, sollte sie den Serben nicht entgegenkommen, ein Exodus der serbischen Bevölkerung unausweichlich wäre. Dennoch müssen die kroatischen Behörden auf die Verbitterung der kroatischen Vertriebenen Rücksicht nehmen. Die Mütter von Vukovar demonstrieren fast täglich in der benachbarten Stadt Osijek. Sie fordern die Aufklärung des Schicksals ihrer verschwundenen Männer und Söhne. Sie fordern die Öffnung der Massengräber, die es in Vukovar geben soll. Sie fordern die Bestrafung der Verantwortlichen.

Die Rückkehr der Kroaten wird nicht ohne Konflikte abgehen. Doch nach der anfänglichen Abwanderung von 400 Serben im April dieses Jahres, als die Demilitarisierung einsetzte, ist der Exodus zum Stillstand gekommen. Für Snezana Berić, eine Journalistin der serbischen Regierungszeitung Politika in Belgrad, zeigt dies lediglich, daß die serbische Bevölkerung abwartet, wie sich die Dinge entwickeln. „Mißtrauisch sind sie geblieben. Sie sind bereit, jederzeit über Nacht ihre Sachen zu packen und nach Serbien zu gehen.“ In der kroatischen Regierung spielten manche falsch, so ihr Vorwurf. Und tatsächlich gibt es dort Kräfte, die einen Auszug der Serben wie 1995 aus der Krajina begrüßen würden. Auf der serbischen Seite stehen ebenfalls Politiker, die lediglich Zeit gewinnen wollen, um doch noch die Vereinigung mit Serbien zu erreichen.

Jacques Klein, der etwas linkisch wirkende, schlaksige, etwa sechzigjährige US-Diplomat, ist ein energischer Mann. Er hat sich bisher bemüht, auf alle Seiten mäßigend einzuwirken. Die Aufstellung der gemeinsamen Polizeitruppe ist sein Werk.

Allen Serben der Region soll das kroatische Heimatrecht zugestanden werden. 175 Rentner haben in den letzten Tagen die kroatischen Papiere erhalten. Sie können jetzt mit einer Pension aus Zagreb rechnen. Am 1. September, so die Planung, erhält die gesamte Bevölkerung kroatische Papiere. Im Oktober wird die kroatische Währung Kuna eingeführt. Eine Amnestie für alle Soldaten der serbischen Streitkräfte steht noch aus. Kriegsverbrecher ausgenommen. Wer Kriegsverbrecher ist, definiert das Tribunal in Den Haag, nicht die kroatischen Behörden. „Das sei beruhigend für die Ex- Soldaten“, sagt der Pressesprecher der serbischen Behörden. Er gibt sich gemäßigt und verweist im Gegenzug darauf, daß der extremistischen Führung der Krajina-Serben nach ihrer Flucht aus Knin am 6. August 1995 der Zugang nach Ostslawonien verwehrt worden war. Schon damals hatte der Präsident der ostslawonischen Serben, Goran Hadzić, der kroatischen Regierung ein Signal gesandt – Bildung einer Allparteienregierung von Experten.

Davorin Stern, der kroatische Wirtschaftsminister, ist nach Vukovar gekommen. Ungezwungen werden die Gespräche abgewickelt. Es geht um das Wiederaufbauprogramm. Die kroatische Seite möchte ein Gesamtkonzept, die Serben ein regionales Konzept durchsetzen. Dahinter verbirgt sich die Frage, wer die Kontrolle über die 16 Millionen Dollar aus den Töpfen der internationalen Gemeinschaft erhalten soll. Ethnisch definierte Ökonomien dürften hier keine Zukunft mehr haben. Die Schuhfabrik wird wieder aufgebaut, Serben und Kroaten werden dort zusammenarbeiten.

Noch ist es mit der Harmonie nicht so weit her. „Von den Extremisten beider Seiten könnte die Stimmung schnell wieder angeheizt werden“, warnt ein Mitarbeiter von Jacques Klein. Eine Provokation könnte genügen, um die Arbeit der letzten Monate wieder zunichte zu machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen