■ Zur Einkehr
: Zum Kuhhirten

„Welche Nummer ist das?“ Fragend zieht der Kellner die Augenbrauen hoch. Den Kugelschreiber gezückt, wartet er seelenruhig, bis die Gäste die Karte noch einmal aufschlagen, um für ihn die Nummern zu den gewünschten Speisen herauszusuchen. Nummer 178 wollen wir unbedingt probieren. Die hausgemachte Sülze mit Remouladensauce nebst Salat und Bratkartoffeln war dem Gastro-Kritiker des Weser-Kurier sauer aufgestoßen. „Drei dünne kleine Scheiben...“, schimpfte er nach dem Besuch der traditionsreichen Ausflugsstätte in dem ansonsten nicht gerade für seine Bissigkeit bekannten Heimatblatt. „Preis und Leistung standen in sehr krassem Mißverhältnis.“ Der „Kuhhirte“ reagierte prompt: „Testen Sie uns selbst“, bat der Pächter „alle Bremer“ in einer dreispaltigen Anzeige.

Einer Bitte, der wir, durchaus wohlwollend, gern nachkommen wollten, und zwar mit der Nummer 153 (Kartoffelsuppe mit Speck 5,50 Mark), Nummer 54 (Kännchen heiße Schokolade mit Sahne) und der Nummer 2 (einem König Pilsener, 0,4 Liter zu einem Preis von 5,20).

Die Gastwirtschaft liegt, von mächtigen Ahorn-Bäumen umgeben, in einem idyllischen Garten. Welch anheimelndes Plätzchen, frohlocken wir, da kommt das Essen: Die Sülze wird in dünnen Scheibchen serviert, der Geschmack ist dürftig. Das Kännchen Schokolade ist winzig. Auch die Sahne kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Kakao mit Wasser aufgebrüht ist. Der Anblick blaßroter Tomaten läßt das fade Aroma von Holland-Gemüse befürchten. Ein Verdacht, der sich beim Zubeißen erhärtet. Immerhin gibt es drei verschiedene Sorten Dressing zum Salat. „Großzügig“, findet die Kolumnistin. „Lieblos“, urteilt hingegen der Kollege. „Dressing aus der Flasche.“ Bei den Bratkartoffeln sind sich Kritiker und Kritikerin einig: Sie sind labbrig und triefen vor Fett. „Aber die Kartoffelsuppe ist lecker“, lobt die Kolumnistin und beißt prompt auf ein winziges Stück Holz, daß sich zu den Erdäpfeln in die Brühe geschmuggelt hat.

Der Ober zieht die Augenbrauen hoch. „Ich sag' in der Küche Bescheid“, verspricht er. Er ist stets um Freundlichkeit bemüht. Doch sein Gesichtsausdruck – eine stumme Klage über diesen anstrengenden Job – scheint zu verraten, daß ihn jedes freundliche Wort viel Kraft kostet. Als er zurückkommt, sind seine Reserven offenbar erschöpft. „Das ist kein Holz, sondern ein Stück verbrannter Speck“, sagt er barsch. Daß das keine Entschuldigung ist, merkt er nicht. Doch als wir bezahlen, versucht er einzulenken. „Hat Ihnen das Kännchen Schokolade gereicht?“ will er wissen. „Ja“, antwortet die Kolumnistin. „Nur schade, daß der Kakao nicht mit Milch aufgebrüht wird.“ Um eine Antwort ist der Kellner nicht verlegen. „Das steht auch nicht auf der Karte.“ „Schmeckt aber besser“, gibt die Kritikerin zurück. „Das ist Ihre Meinung“, kontert der Kellner. Recht hat er. Und auch das ist die Meinung der Kolumnistin: Ein Besuch im Kuhhirten lohnt sich nicht. Der Gastro-Kritiker des Weser Kurier hatte recht. Aber: Testen Sie selbst.

Kerstin Schneider

„Zum Kuhhirten“, Kuhhirtenweg 7-11, Öffnungszeiten: Café ab 10 Uhr, Restaurant ab 12 Uhr bis 22 Uhr.