Mit Tschador an den Start

■ Erstmals tritt eine Frau für den Iran an – und darf die Fahne tragen

Bei der Eröffnungsfeier in Barcelona durfte noch nicht einmal das Länderschild des Iran von einer Frau berührt werden – die Trägerin wurde nach Intervention des Iran gegen einen Mann ausgetauscht. In Atlanta wird nun Lyda Fariman, seit der islamischen Revolution 1979 die erste und einzige Frau im iranischen Team, gleich die nationale Flagge ins Stadion tragen. „Wir müssen den ausländischen Medien zeigen, daß die muslimischen Frauen entsprechend den islamischen Regeln aktiv an allen Bereichen des Sports teilnehmen können“, erklärte die Sportschützin, die im langen Mantel und mit Kopftuch den Wettbewerb bestreiten wird. Nur so oder im Tschador dürfen iranische Frauen in Anwesenheit von Männern Sport treiben – und können deshalb nur in den Disziplinen Reiten, Ski, Schießen, Schach und Behindertensport antreten.

Die Pariser Anwältin Linda Weil-Curiel, Mitbegründerin des Komitees „Atlanta Plus“, wertet Farimas Nominierung als „eine Reaktion auf unsere Initiative“. Die Aktivistinnen wollten den Ausschluß von Frauen bei den Olympischen Spielen nicht länger hinnehmen. In Barcelona waren von 169 Teams 35 „frauenfrei“, darunter der Iran, Saudi-Arabien, der Sudan, die Arabischen Emirate, Kuwait, Oman, Jemen, Uruguay und Pakistan. Das verstoße gegen die Charta der Olympischen Spiele, meinen die „Atlanta Plus“- Initiatorinnen: „Alle Formen der Diskriminierung mit Bezug auf ein Land oder eine Person, sei es aus Gründen von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Motiven, sind mit der Olympischen Bewegung unvereinbar“, heißt es dort. Auf dieser Grundlage suspendierte das Internationale Olympische Komitee (IOC) Südafrika 1964 bis 1988 von den Spielen. „Die Apartheid der Geschlechter muß mit derselben Entschlossenheit bekämpft werden“, fordert Atlanta Plus. Die Unterstützerliste reicht von Martina Navratilova oder Naywal El Moutawakel, der Marokkanerin, die 1984 als erste Afrikanerin olympisches Gold gewann, bis zur UN- Menschenrechtskommission und dem Europäischen Parlament. Das IOC zeigte sich ungerührt und wertete die Aktion als „rein politischen Angriff gegen eine Religion“. Nun rückten die Frauen IOC-Präsident Samaranch in Atlanta direkt auf die Pelle: Drei Tage vor Eröffnung überreichten sie ihm einen Beutel mit Ein-Cent- Münzen – als Erinnerung an ihre Forderung, von jeder der elf Millionen Eintrittskarten einen Cent abzuzweigen und in den Frauensport zu stecken.

Der 30prozentige Frauenanteil von Barcelona soll in Atlanta erhöht werden. Vermutlich wird sich auch die Zahl der reinen Männerteams verringern. So sollen diesmal beispielsweise auch für Gabun, Mauretanien, Swaziland, die Mongolei oder Nepal Frauen antreten. Es gibt sogar zwei reine Frauenteams: Liechtenstein und den Libanon – vertreten durch insgesamt drei Athletinnen. Karin Gabbert