Sponsoren, Wilderer und der Anblick der Spiele

■ Ein Bummel durch das vorolympische Atlanta – dort, wo es das IOC gar nicht mag

Dick Pound ist ehrlich empört. Schreckliche Dinge muß der Finanzfachmann des IOC erblicken, als er die Straßen Atlantas inspiziert. Verkaufen da doch an Hunderten von Ständen Leute ungeniert Produkte, die keinen Cent in die Kassen des Internationalen Olympischen Komitees gezahlt haben – und das auch noch mitten im olympischen Zentrum der Stadt. „Eine Menge Ramsch“, fällt dem Vorsitzenden der IOC-Begutachtungskommission auf, „der den Anblick der Spiele stört.“ Ein fürchterlicher Gedanke, daß die T-Shirts, Kappen, Izzy-Figuren und Hot dogs an den Buden, die die Stadt an Kleinhändler vermietet hat, die Leute von jenen edlen Produkten ablenken könnten, deren Hersteller brav ihren nicht gerade geringen Obolus als Olympia-Sponsoren entrichtet haben. Wie leicht kann man doch die gewaltigen, knallroten Werbeflächen jenes einheimischen Brauseproduzenten übersehen, der die Spiele vielleicht nicht gekauft hat, aber dennoch gewaltig an ihnen verdienen will. Oder die falsche Kreditkarte wählen, das falsche Bier trinken und den falschen Farbfilm einlegen. Künftigen Olympiastädten, donnert Pound erzürnt, werde man mitteilen, daß sie nicht einmal daran denken dürften, ähnliches zu tun wie das böse Atlanta.

Zur Beruhigung schlendert der gute Dick, der zu gerne IOC-Präsident Samaranch beerben würde – wenn dieser in den nächsten hundert Jahren mal abträte – hinüber in den gerade noch rechtzeitig fertiggewordenen Centennial Olympic Park. Hier wird er sich pudelwohl fühlen, stimmt doch der Anblick der Spiele hier hundertprozentig. Wer sich unter dem Namen Park etwas mit Bäumen und Rasen vorstellt, liegt in Atlanta völlig falsch. Mit Grashalmen kann man schließlich kein Geld verdienen, es sei denn in Wimbledon.

Der Boden des 50 Millionen Dollar teuren, privat finanzierten Parks besteht weitgehend aus Backsteinen, in die man praktischerweise etwas eingravieren kann. Für 35 Dollar pro Stück durften einige Sportfans ihren Schlachtruf „Go Gators“ loswerden, eine Familie widmete das gute Stück der Großmutter, die meisten aber ließen ihre Namen einritzen und sind nun daran zu erkennen, daß sie gründlich Stein für Stein absuchen, um sich selbst zu entdecken.

Auf drei Bühnen wird vorzügliche südstaatliche Musik wie Cajun, Blues, Bluegrass oder Gesänge der „Native Americans“ geboten, was wegen der prallen Sonne nur wenige Hartgesottene zu würdigen wissen; ansonsten gehört der Park dem Kommerz. In großen Pavillons dürfen sich die Topsponsoren, die dem IOC kräftig unter die Arme gegriffen haben, ausgiebig beweihräuchern. Hier klingen selbst die menschenfreundlichen Hinweise, die über den Lautsprecher ausgesandt werden, verdächtig: „Es herrschen heute fast vierzig Grad. Trinken Sie viel, und wenn Sie einen Schwächeanfall haben, begeben Sie sich sofort in die klimatisierten Räumlichkeiten des Super Store, des Coca Cola Pin Trading Center oder nach Bud World.“ Letzteres ist ein großes Bierzelt, in dem ständig die nicht unwitzigen Budweiser-Werbespots gezeigt werden. Das passendste Accessoire im Merchandising- Tempel Super Store ist ein olympisches Monopoly für schlappe 42 Dollar, das auch Mister Pound sicher mächtig gefällt, geht es doch um nichts anderes als „Kaufen und Verkaufen“ – von Olympischen Spielen und allem drumherum.

Das Beste am Centennial Park ist neben der Musik der aus dem Boden schießende Springbrunnen in Form von Olympischen Ringen, der den anwesenden Eltern ausnahmslos klatschnasse Sprößlinge beschert. Noch besser ist bloß eine Statue, die von fern wie Stalin aussieht. Beim Nähertreten erkennt man am verbeulten Hut und an der Inschrift, daß es sich um Pierre de Coubertin handeln soll.

Hat Dick Pound den Park durchquert, muß er sich schon wieder ärgern. Denn dann steht er vor dem dreistöckigen Nike-Palast, der sich genau neben die Coca Cola World gepflanzt hat. Leute wie den Schuhfabrikanten aus Oregon liebt das IOC gar nicht. Die sparen einfach die 40 Millionen Dollar Sponsorgebühr und ziehen ihre Show ab. Was ihnen leicht fällt, weil sie die berühmtesten Sportler unter Vertrag haben. Wer sonst kann schon an einem Abend Michael Johnson, Carl Lewis, Sergej Bubka, Gwen Torrence, Andre Agassi, Monica Seles, Scottie Pippen und Penny Hardaway aus dem Hut zaubern und ein paar charmante Worte sagen lassen? Wäre die Stadtverwaltung nicht eingeschritten, hätte es Konkurrent Reebok fast geschafft, einen 30 Meter hohen Shaquille O'Neal („Ich will Spaß haben, Pepsi trinken und Reebok tragen“) an eine Hauswand zu malen. Bei diesem Anblick der Spiele wäre nicht nur Dick Pound, sondern vermutlich auch King Kong erblaßt. Das IOC wird sich etwas einfallen lassen müssen. Vielleicht sollte man die lästigen Sportler einfach abschaffen. Matti Lieske, Atlanta