Bitte keine Kunstlichtsoße

■ Im Gespräch: Der Hamburger Star-Architekt Meinhard von Gerkan, dessen Audimax-Planungen für die Uni Oldenburg jetzt realisiert werden

er Architekt Meinhard von Gerkan gehört zu einem der erfolgreichsten Archtitektur-Büros in Deutschland. Vor kurzem wurde sein Entwurf des Leiziger Messegeländes eingeweiht und hochgelobt. Dieser Tage rollt an der Uni Oldenburg der erste Bagger an, um den Baugrund für ein von Gerkan entworfenes Gebäude zu errichten. Zehn Jahre nach der Antragstellung werden drei Hörsäle und ein Audimax gebaut. Wir besuchten Gerkan in Hamburg.

taz: Können Sie sich erinnern, warum Sie ursprünglich Architekt werden wollten?

von Gerkan:Ach, ich konnte mich erst gar nicht entscheiden. Deshalb habe ich ja auch erst Physik und dann Jura studiert und noch Schauspielunterricht genommen, aber alles nicht fertig gemacht. Und dann hab ich die Vorstellung gehabt, daß man als Architekt etwas schaffen kann, was großen zeitlichen Bestand hat.

Hat sich das in der Praxis realisiert?

Am Anfang hat mich die Bedeutungslosigkeit der beruflichen Rolle etwas erschüttert. Das hat sich aber im Lauf der Jahre gegeben.

Wie modern ist die moderne Architektur?

Die Frage stellt sich immer wieder. Man muß da möglicherweise unterscheiden zwischen der Beständigkeit von Architektur im physischen Sinne und im mentalen Sinne. Die Bauten der sogenannten Modernen sind physische Pflegefälle. Das hat was damit zutun, daß das einfache und reduzierte Bauen sich in hohem Maße der Putzfassade bedient hat, und Putzfassaden müssen halt wieder angestrichen werden und sind witterungsanfälliger als zum Beispiel der altbewährte Ziegelstein, mit dem vorzugsweise in Hamburg und Bremen sehr viel gebaut wird.

Das klingt nach einer traditionalistischen Bauweise. Doch charakteristisch für Ihre Bauten scheint mir eher Glas als der norddeutsche Klinkerbau zu sein.

Wir haben gar keine bestimmte Affinität zu einem Material. Was genommen wird, hängt immer mit der Aufgabe zusammen. Aber insgesamt sind die größten und anspruchsvoll-sten Bauten bei uns von Stahlkonstruktionen geprägt: Flughäfen, die Leipziger Messehalle, auch die zur Zeit in Planung befindlichen Bahnhofsprojekte sind ja alle Stahlkonstruktionen.

Aber wir haben schon Ziegelbauten gemacht. Gerade in Bremen das Hillmann-Hotel, das Parkhaus am Hillmannplatz, das Arbeitsamt in Oldenburg, einer der größten Bauten, ist vom Ziegel überzogen, innen und außen. Das hat ein bißchen was mit der dialogischen Auseinandersetzung des jeweiligen Ortes zu tun.

In der Wahrnehmung ihrer Bauten dominiert das Glas. Kritiker diskutieren mit zunehmender Leidenschaft die Frage, ob Ihre Gebäude eher verhüllen oder bloßlegen. Was ist so provokant an gläsernen Bauten?

Glas ist einer der faszinierendsten Baustoffe. Es hat die Eigenschaft, Raumhülle zu sein und trotzdem durchsichtig. Es ist ein relativ preiswerter Baustoff und durch technische Bearbeitung zu verändern. Zum Beispiel kann man Glas bedrucken und damit optische Effekte erzielen, um die Lichtmenge zu dosieren, die hineinkommt. Und im übrigen ist ja die Wahrnehmung der Tageszeiten für den Menschen etwas ganz ganz Wichtiges. Ich mag nicht bei geschlossenen Fenstern schlafen, auch wenn ich noch müde bin, möchte ich wissen, wann es hell wird. Meiner Meinung nach ist das Abdunkeln und sich Zurückziehen gegen die menschliche Natur. Mich ärgert es auch, wenn die Zimmermädchen in Italien immer die Fensterläden zumachen, wenn man um fünf ins Hotel kommt.

Wo braucht es denn Licht am dringendsten?

Das ist das Drama jedes Flufhafens, daß dort, wo die Menschen warten, beim Einchecken und in der Abfertigung, meist diese Kunstlichtsoße herrscht. Im Grunde ist das auch das architektonische Bekenntnis der Leipziger Messe: Nur eine Klimahülle, die die natürlichen Bedingungen von außen nach innen hereinholt. Im Gegensatz zu den Ausstellungshallen, die eine künstliche Scheinwelt brauchen, weil derjenige, der seine Objekte zeigen will, sich wie ein Filmemacher von natürlichem Licht eher bedrängt fühlt.

An Ihrem Oldenburger Audimax könnte auch dranstehen: „Ich bin drei Hörsäle“. Ist das mehr als ein Funktionsbau?

Das ist deutlich mehr als ein Funktionsbau. Denn er steht in Auseinandersetzung mir seiner Nachbarschaft, zwei für mein Empfinden sehr befremdlichen Bauten. Einer entspricht noch der Typologie der Universitätsbauten, die in den 60er, 70er Jahren nach dem Baukastenprinzip begonnen wurden, aber nirgendwo in der Republik zuendegebaut wurden. Und dann ist da noch das Multifunktionszentrum gegenüber, mit Mensa und Swimmingpool, das einen sehr stark postmodernen Einschlag hat. Eine etwas anbiedernde, anheimelnde Architektur, die mir überhaupt nicht zusagt. Der Ort ist zwar kein Amphitheater, aber der Kreis steht für: sich zusammenfinden. Das war viel bestimmender, als die Funktion der Räume im Inneren, die man auch nach Schuhkartonart hätte zusammenreihen können. Die Absicht ist, dem Gebäude Autonomie zu geben und zu zeigen, daß es sich hier um ein wichtiges Gebäude der Universität handelt.

Was ist der Unterschied im Entwurf zwischen Hörsaal und einem Einkaufszentrum?

Da sehe ich keinen qualitativen Unterschied. Ich versuchen einen Ort zu schaffen, an dem sich die Leute wohlfühlen. Und einen Klimaschutz zu schaffen, der den Straßencharakter wahrt, aber nicht diese Grabbeltisch-Atmosphäre schafft wie im Kaufhaus, wo man sich immer gleich gedrängt fühlt, was zu kaufen. Nur, als Architekt hat man wenig Einfluß darauf, was da innen geschieht, das entscheiden die Mieter.

Wie wichtig ist Ihnen der Einfluß? Würden Sie soweit gehen zu sagen, unter bestimmmten Bedingungen einen Auftrag auch mal sausen zu lassen?

Das haben wir schon öfter man getan. Hier in Hamburg bei dem größten Einkaufszentrum in Altona, da hat sich durch die Veränderungen bei der Bauherrschaft diese Situation ergeben. Genau die Dinge, von denen ich eben gesprochen habe, ein Verlust an Urbanität zum Beispiel, daß das Ding nach den Ladenschlußzeiten einfach zugemacht wird und dann doch ein Kaufhaus ist – das konnten wir im Planungsprozeß nicht verändern und beschlossen: Dann machen wir auch nicht mehr weiter. Zum Schluß ist es doch so, den Bauherrn, den Investor, der irgendwelche Gelder zusammengesammelt hat, den kennt kein Mensch, aber der Architekt der muß doch dafür gerade stehen. Das ist die gesellschaftliche Rolle des Architekten, auch mal Grenzen zu ziehen.

Ist das ein Trend, daß der Bauherr nicht mehr der Nutzer ist, und geht damit ein Problem einher?

Ein extremes Problem. Weil damit das Entstehen von Architektur entpersönlicht ist. Es gibt keine persönliche Verantwortung mehr. Denn wenn ich mit einem Investor rede, beruft der sich ja nicht mehr auf seinen persönlichen Geschmack, sondern auf das, was vermarktbar ist. Was vermeintlich die Käufer oder Mieter, an die er denkt, von ihm erwarten.

In jeder Stadt gehen die Leute ins Altstadtviertel, begutachten die Fachwerkhäuser. Für die modernen Viertel interessiert sich kein Mensch ...

Ja, das ist leider nicht zu leugnen. Die Leute wollen Fachwerkhäuser, und das geht auch durch alle Schichten.

Wie sehen Sie Ihren Reichstagsentwurf in diesem Zusammenhang? Sie haben einen Entwurf gemacht, der als vollkommen gläsernes Gebäude vor dem wilhelminischen Bau steht, und planen, den Reichstag als solchen gar nicht für parlamentarische Aufgaben zu nutzen. Warum nicht?

Weil wir meinen, daß das Gebäude so nicht zur demokratischen Kultur paßt, weil der Reichstag eine Herschergebärde ausstrahlt. Jetzt, mit dem Umbau, wird genau das geschehen.

Muß man vermuten, daß die Politiker, die ihr gläsernes Haus nicht beziehen wollen, auch Angst davor haben, sich in die Tasche gucken zu lassen?

Ich glaube, das entspricht sogar der Realität. Ich war vor Jahren in der Jury für den Plenarsaal. Da hab' ich sie alle kennengelernt, diese Politiker. Es ist ja immer von demokratischer Öffentlichkeit und Begegnung mit dem Bürger die Rede. Aber wenn dann konkret von einem Entwurf die Rede ist, dann heißt es: Werde ich denn gesehen, wenn ich von meinem Arbeitsplatz in die Kantine gehe, muß ich da etwa jemandem Rede und Antwort stehen? Das soll dann eher abgeschirmt sein.

Sie haben sicherlich Visionen ...

Viele, viele. Es handelt sich um drei Projekte. Die Bahnhöfe in Stuttgart, Frankfurt und München werden Stadtquartiere entstehen lassen, denn dort kann man die Gleisanlagen unter die Erde verlegen. Das gibt ganz neue Möglichkeiten.

Damit entstehen auch wieder Wohnungen?

Ja, ganz genau, denn Urbanität, das sind ja nicht die abgestellten Autos, sondern quirlendes Leben. Endlich ist wieder der Platz da, um Wohnungen mitten in der Stadt entstehen zu lassen.

Fragen: Susanne Raubold

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