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Preußen an Mexikos Küste

Deutsche Plantagenbesitzer und Landbesetzer im Kleinkrieg  ■ Aus dem Soconusco Boris Kanzleiter

Da ist sich Bettina von Knoop ganz sicher: „Alle Mexikaner, die ein bißchen Kopf haben, werden Ihnen sagen, daß der Soconusco nur dank der Deutschen reich ist.“ Und außerdem: „Die Deutschen haben gezeigt, daß man mit Arbeit und Ausdauer zu etwas kommt.“ Zumindest die von Knoops haben es zu etwas gebracht, daran bestehen keine Zweifel. Eine ganze Reihe ertragreicher Kaffeeplantagen im Soconusco, der produktivsten und fruchtbarsten Kaffeeanbauregion Mexikos, an der chiapanekischen Pazifikküste kurz vor Guatemala, sind seit der Jahrhundertwende im Familienbesitz.

Das standesgemäße Anwesen der adligen Familie in einem noblen Vorort der südmexikanischen Kaffeehauptstadt Tapachula wird von einem sorgfältig angelegten Tropengarten umgeben, in dem krächzend Papageien durch Bananenstauden und Palmen flattern. An der ausladenden Pforte zum Park um die Villa schieben zwei muskulöse Pitbullterrier Wache. „Keine Angst, die beißen nicht!“ beruhigt ein Hausdiener an der Toreinfahrt. „Das Taxi kann bis direkt vor das Haus fahren“, versichert er zuvorkommend.

Seitdem vor zwei Jahren der Aufstand der Zapatistas in Chiapas eine Welle von Landbesetzungen in Gang gesetzt hat, sind die deutschen Kaffeebarone als Großgrundbesitzer und Drahtzieher paramilitärischer Trupps, die brutal gegen Landbesetzer vorgehen, in die Schußlinie der Kritik von Bauernorganisationen und Presse geraten. Zu Unrecht, findet Bettina von Knoop: „Wir haben unseren Reichtum aus eigener Kraft geschaffen“, dementiert sie die Vorwürfe der Bauern, bei den Deutschen handele es sich um schamlose Ausbeuter. „Mein Großvater Wilhelm Kahle kam vor gut hundert Jahren als kleiner Angestellter des Hamburger Handelshauses Lüttmann hierher. Er war ein tatkräftiger und entschlußfreudiger Mann und begann im Soconusco eigene Kaffeeplantagen anzulegen.“ Um die Erinnerung an seine ferne Heimatstadt und das Vaterland wachzuhalten, taufte er sie „Hannover“ und „Germania“. Die Maxime der Gründergeneration hieß laut Frau von Knoop: „Eiserne Disziplin und Arbeit, Arbeit, Arbeit.“ So konnte Kahle Kredite abzahlen, Geschäftsfreunde gewinnen und bald eine dritte Plantage ankaufen, der er den schneidigen Namen „Prusia“, auf deutsch „Preußen“, gab. Eiserne Disziplin und Arbeit zahlen sich eben aus. Aus dem Angestellten war ein Großgrundbesitzer geworden.

Señor Kahle blieb nicht der einzige Deutsche in der Kaffeeregion am Pazifik. Die Herren Giesemann, Pohlenz, Edelmann, Nisch und die Brüder Widmayer gesellten sich hinzu und waren nicht minder fleißig, diszipliniert und geschäftstüchtig. Als Mitte der 20er Jahre der Baron von Turkheim die deutsche Landsmannschaft in Tapachula verstärkte, war der ganze Soconusco bereits mit heimisch klingenden Ortsnamen übersät: „Badenia“, „Lubeca“, „Hamburgo“, „Bremen“ und „Selva Negra“ – Schwarzwald.

Da „der Mexikaner“, wie Bettina von Knoop betont, „grundsätzlich deutschfreundlich ist“, überstand die deutsche Kolonie an der Pazifikküste auch die Wirren und Erschütterungen der Revolution von 1910 bis 1920 und der Agrarreform in den 30er Jahren, ohne Federn lassen zu müssen. Erst am 2. Juni 1942 kamen die deutschen Großgrundbesitzerfamilien in erhebliche Bedrängnis. Die „grundsätzlich deutschfreundlichen Mexikaner“ hatten nämlich dem Dritten Reich den Krieg erklärt, nachdem deutsche Kriegsschiffe zwei mexikanische Öltanker angegriffen hatten. Die 66 Kaffeeplantagen der deutschen Familien im Wert von 12 Millionen Pesos stellte der Präsident unter Treuhandschaft. Ihre Besitzer, die in ihrer Mehrheit aus tiefer Überzeugung die Reihen hinter Volk, Reich und Führer im fernen Vaterland fest geschlossen hielten, wurden in Mexiko-Stadt interniert. Bettina von Knoop erinnert sich mit Grauen an „die schwierigste Zeit für uns“.

Doch jeder Alptraum geht zu Ende, und 1950 durften die Besitzer auf ihre alten Plantagen zurückkehren. Noch heute ist die vierte Generation der deutschen Pioniere aus der Kaiserzeit stolz auf ihre Herkunft und treibt rege Traditionspflege. Seit zwei Jahren ist es mit der Ruhe allerdings vorbei: Die Kleinbauern besetzen das Land der Großgrundbesitzer.

Die ärmlichen Hütten Nuevo Palestinas liegen im Landkreis Jaltenango de la Paz, gut hundert Kilometer von Bettina von Knoops Villa in Tapachula entfernt auf der anderen Seite des Gebirgszugs der Sierra Madre del Sur. In dieser Region überziehen deutsche Großgrundbesitzer die Bauern mit einem schmutzigen Kleinkrieg. „Der Alemán soll verschwinden“, fordert Agustin Perez, ein Bauer aus Nuevo Palestina. Der ,Alemań, den Agustin zum Teufel wünscht, heißt eigentlich Laurenz Schimpf- Hudler. Aber Schimpf-Hudler ist so schwer auszusprechen, und deshalb nennen die Leute aus Nuevo Palestina den Besitzer der Liquidámbar-Kaffeeplantage der Einfachheit halber den „Alemán“, den Deutschen. Meist hängen sie noch einige sehr unfreundliche Adjektive an.

Am 4. August 1994 hatten sich die Kleinbauern von Nuevo Palestina mit Macheten und Knüppeln bewaffnet und waren den Feldweg aus dem Tal zur Kaffeeplantage hochgestiegen. Im Handstreich hatten sie Liquidámbar eingenommen. Die Produktion wurde in eigener Regie fortgesetzt – bis zum 28. April 1995. Da rückte der „Alemán“ Schimpf-Hudler mit schwerbewaffneten Polizei- und Militäreinheiten, verstärkt durch seine Guardia Blanca, die paramilitärische Weiße Garde, wieder an. „Uns blieb nichts anderes übrig, als die Plantage wieder zu verlassen“, erzählt ein verbitterter Agustin. „Und jetzt sitzt der Alemán wieder da oben. Wir Bauern haben wieder das alte Problem. Uns mangelt es an Land.“

Auch die Nachbarplantage „Prusia“ der Familie von Knoop wurde von Bauern besetzt. Und auch sie wurde wieder geräumt – allerdings weniger glimpflich als in Liquidámbar. Agustin Perez erzählt, wie Volker von Knoop, der Sohn Bettinas und Großenkel Wilhelm Kahles, mit 70 Soldaten und schwerbewaffneten Pistoleros „Prusia“ wieder in deutsche Hände zurückeroberte. „Drei von unseren Compañeros sind dabei ermordet worden“, sagt Agustin wütend, traurig, und seine Stimme klingt auch nach Resignation. Denn die Räumung der beiden Plantagen vor einem Jahr war der Beginn eines ungleichen, schleichenden Krieges der beiden deutschen Großgrundbesitzerfamilien gegen die Bauern aus Nuevo Palestina und die umliegenden Dörfer.

Seitdem die beiden Kaffeeplantagen besetzt wurden, sind im Landkreis Jaltenango de la Paz acht Bauern und Oppositionelle erschossen worden. Alle waren sie Mitglieder der „Unión Campesina Popular Francisco Villa“ (UCPFV). Die Bauern im Landkreis hatten ihre Vereinigung im Sommer 1994 gegründet. Angespornt durch den Aufstand der Zapatistas im Lakandonen-Urwald, dreihundert Kilometer weiter östlich, fühlten sie sich stark genug, ihre generationenalte Forderung nach mehr und fruchtbarerem Ackerland durchzusetzen.

Gegen die „Villistas“, wie die Mitglieder der UCPFV im ganzen Landkreis, je nach politischem Standpunkt mit einem Ausdruck der Bewunderung oder der Verachtung auf den Lippen, genannt werden, hat die Familie Schimpf- Hudler nach der Räumung Liquidámbars Anzeige wegen „gewalttätigen Raubes“ gestellt. 170 UCPFV-Mitglieder werden nun per Haftbefehl gesucht.

Seither herrscht in Nuevo Palestina praktisch der Ausnahmezustand. Täglich patrouillieren die Polizei, das Militär und die von den Großgrundbesitzern angeheuerte Weiße Garde durch das Dorf. Mit Maschinenpistolen bewaffnet, sitzen sie vermummt auf den offenen Ladeflächen der Jeeps, die im Schrittempo durch den Staub der Dorfstraße fahren. „So versucht uns der Alemán einzuschüchtern“, sagt Agustin Perez, denn für ihn ist es offenkundig, daß „der Alemán die Soldaten bezahlt“.

Der schleichende Krieg zwischen Bauern und Kaffeepflanzern hat auch auf der Plantage deutliche Spuren hinterlassen. Die Vorsichtsmaßnahmen auf Liquidámbar sind nicht zu übersehen. Am Eingangstor thronen links und rechts des Feldwegs zwei militärisch befestigte Kontrollposten. Über den Sandsäcken ruhen sich die Läufe der Maschinenpistolen des Wachdienstes aus. Der Empfang ist recht frostig. „Halt, was willst du hier?!“ schnauzt ein Aufpasser mit Sonnenbrille und Baseballmütze hinter den Sandsäcken hervor. Doch nach einer kurzen Diskussion erklärt er sich bereit, per Funk den Verwalter zum Tor zu holen. „A2, bitte kommen, hier ist X 5“ oder so ähnlich nuschelt der Wächter in ein piependes Funkgerät. A2 muß Gerardo Saenger sein, denn der läuft nach ein paar Minuten breitbeinig und kaugummikauend in bewaffneter Begleitung den Feldweg aus dem Hauptgebäude zum Kontrollposten herunter.

Saenger, der Verwalter der Kaffeeplantage Liquidámbar, gehört zu denjenigen im Landkreis, die das Wort „Villistas“ nur mit Widerwillen und Verachtung über die Lippen bringen. „Die Villistas haben alles zerstört und wertvolle Maschinen gestohlen“, beschwert er sich und zieht an einer Zigarette, nachdem der Kaugummi im Staub gelandet ist. Auf den Kaffeefeldern der Großgrundbesitzer arbeiten jetzt hauptsächlich Erntearbeiter aus Guatemala. 1.500 waren es dieses Jahr allein auf Liquidámbar. „Mit den Leuten aus Guatemala haben wir weniger Probleme“, begründet Saenger die Auswahl. „Wir zahlen 17 Pesos (3 Mark) pro Tag.“ Sogar Sozialleistungen gibt es, berichtet Saenger stolz: „Außerdem bekommen sie jede Woche ein halbes Kilo Fleisch und ihre Tortillas neben dem Lohn.“

Um das Hauptgebäude der Plantage stehen Holzbaracken mit unbefestigten Lehmfußböden. In übereinandergebauten Bretterverschlägen schlafen die Erntearbeiter dicht an dicht. Auf einem sanften Hügel in sattem Grün, von dem man die Plantage mit einem Panoramablick übersehen kann, blinkt dagegen die weißgekalkte Residenz der Familie Schimpf-Hudler in der Sonne. Die „Villistas“ aus Nuevo Palestina erzählen, daß sie dort im letzten Jahr noch im Swimmingpool gebadet und im Salon Billard gespielt haben. Das luxuriöse Herrenhaus ist allerdings zur Zeit unbewohnt. „Die Schimpf- Hudlers wohnen jetzt in Mexiko- Stadt“, erklärt Gerardo Saenger.

Auch die von Knoops konnten noch nicht im zurückeroberten „Prusia“ einziehen. „Mein Sohn darf sich da noch nicht sehen lassen“, lamentiert Frau von Knoop.

Nach einer langen, nachdenklichen Pause bringt allerdings selbst sie Verständnis für die „Villistas“ auf: „Eines Tages werden es die Leute leid, das kann ich auch verstehen. Denen ist jahrelang Land versprochen worden. Und eines Tages sagen sie dann eben: Wann denn? Und wo? Und dann nehmen sie sich eben das, was da ist.“

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