Die künstliche Befruchtung wird volljährig. Mehrere hundert Retortenkinder folgten einer Einladung zu einem Kinderfest der besonderen Art in einer Münchener IVF-Klinik. Über 15.000 Kinder haben MedizinerInnen in Deutschland mittlerweile auß

Die künstliche Befruchtung wird volljährig. Mehrere hundert Retortenkinder folgten einer Einladung zu einem Kinderfest der besonderen Art in einer Münchener IVF-Klinik. Über 15.000 Kinder haben MedizinerInnen in Deutschland mittlerweile außerhalb des Körpers gezeugt.

Alptraum Traumkind

Beim ersten Mal, sagt Barbara Schmid*, war sie noch optimistisch. Vielleicht würde die Eizelle, die die Ärzte im Reagenzglas befruchtet hatten, sich sofort in ihrer Gebärmutter einnisten. Doch nach ein paar Tagen bekam Barbara Schmid ihre Menstruation – was sie diesmal so schrecklich fand wie andere Frauen eine Fehlgeburt. „Beim zweiten Versuch war ich skeptisch, beim dritten resigniert, beim vierten habe ich aufgegeben“, sagt sie. „Beim fünften Versuch habe ich gemerkt, daß es wie eine Sucht ist. Und als ich beim sechsten Versuch endlich schwanger war, war es wunderbar.“ Doch nach wenigen Wochen war das Wunder vorbei. Sie verlor das Kind.

Heute, einige Jahre nach dieser Achterbahn der Gefühle, hält die resolute Frau aus Augsburg ihre kleine Tochter im Arm – was ihr wohl die Kraft gibt, das „Damals“ so schonungslos zu erzählen. Barbara Schmid gehört zu den zahlreichen Eltern, die sich am Wochenende mit ihren über 500 Retortenkindern im München zu einem Kinderfest der besonderen Art trafen. Eingeladen hatte die Münchener Privatklinik Wilhelm Krüsmann, in der rund 1.500 Kinder aus der Retorte zur Welt kamen. Barbara Schmid, heute 36 Jahre alt, mußte sich damals noch mehreren künstlichen Befruchtungen unterziehen, bis sie ein zweites Mal schwanger wurde. „Und während der Schwangerschaft mußte ich über drei Monate im Krankenhaus liegen, um das Kind nicht zu gefährden.“ Ihr Mann, von Beruf Mechaniker und fünf Jahre älter, ergänzt, sie sei „unten zugenäht“ worden, damit nichts passiere. Schließlich kam ihre Tochter zur welt – zwei Monate zu früh.

Vier Jahre kam Barbara Schmid in die Behandlung der „Sterilitätsmediziner“, wie sich die zehn Ärzte der Münchner Krüsmann- Klinik nennen. Manchmal waren diese Jahre wie ein langer Alptraum, in dem sie nur an „das eine“ dachte: das Traumkind. Ihren Lebensrhythmus prägten die Fahrten von Augsburg nach München, ihren Sex regelten die Vorschriften der Ärzte – wann sie mit ihrem Mann schlafen durfte und, vor allem, wann sie es besser bleiben ließ, um nicht erneut einen Abgang zu riskieren. Ständig blieb dieses Schuldgefühl: „Die anderen werden doch auch schwanger, wieso ich nicht?“ Und ständig fühlte sie in diesen Jahren eine Art Wiederholungszwang: „Man denkt sich zwar oft: Wenn's diesmal nicht klappt, dann lass' ich's. Aber dann versucht man es doch wieder.“

Mag sein, daß Barbara Schmid nicht ganz typisch ist. Nicht jede Leidensgeschichte einer künstlichen Befruchtung ist so quälend lang. Manche Eltern, die man beim Kinderfest der Krüsmann-Klinik am Samstag treffen konnte, berichten von schnellen Erfolgen, wie jene Frau, die das Glück hatte, schon beim ersten Mal schwanger zu werden: „Ich hatte sogar ein Schuldgefühl“, sagt sie, „denn in der Klinik saßen manchmal Frauen neben mir, die schon 15 Jahre lang alles versucht hatten.“

Doch andererseits begegnet man bei diesem Medienereignis, wo Dutzende Fernsehkameras mehrere hundert eingeladene Retortenkinder filmen, nur jenen Müttern, die „es“ geschafft haben. Die anderen fünfzig Prozent, die nach Schätzung des Arztes Klaus Fiedler die Klinik ohne Kind verlassen, sind bei der Veranstaltung logischerweise nicht dabei, wenn die bis zu zehn Jahre alten Retortenkinder in der Hüpfburg toben oder den Clowns zuhören. Und verglichen mit jenen Unsichtbaren, sagt Barbara Schmid, sei sie selbst doch in einer „wunderbaren Situation.“

Der Arzt Wolfgang Würfel, Organisator des Krüsmann-Kinderfestes, hat für manche dieser gescheiterten Frauen einen bitteren Begriff parat: „Sterilitätsleichen“ nennt er sie, wobei er betont, daß seine Klinik nur wenige solcher Opfer produziere. „Aber manche meiner Kollegen haben diese Arbeit tatsächlich so technisiert, daß einem zum Kotzen sein könnte“, sagt er. So gebe es Ärzte, die in einem Jahr alle dreizehn Zyklen einer Frau nutzten, um eine künstliche Befruchtung einzuleiten: „Ein Horror für diese Frauen – denn jeder mißlungene Versuch ist für sie wie ein Abgang.“

Bei ihm in der Klinik, verspricht Würfel, werden deshalb bei jeder Frau höchstens drei Versuche pro Jahr unternommen. Gleichzeitig bietet das Team bei den über 10.000 Befruchtungen pro Jahr auch die Unterstützung eines Psychotherapeuten. Dabei versucht der Arzt Peter Mäurer ein fatales Lebensprinzip vieler Paare mit Kinderwunsch zu knacken: „Die meisten haben das unausgesprochene Motto ,Wenn ich ein Kind habe, fange ich zu leben an‘. Deshalb stellen sie oft jahrelang alle anderen Konflikte zurück, die dann mit voller Wucht auftreten, wenn ein Kind da ist.“

Doch sonderlich beliebt, das gibt auch Mäurer zu, ist seine Unterstützung bei den Paaren nicht. Und Wolfgang Würfel ergänzt, die Hilfe des Therapeuten sei am ehesten für die Akademiker unter den Patienten sinnvoll: „Die kommen zur ersten Behandlung oft mit einem Aktenordner ihrer Sexualbiographie.“ Mehr als andere Patienten hätten sie sich jahrelang theoretisch mit dem Thema Kinderlosigkeit beschäftigt: „Da ist es kein Wunder, wenn das Sexualleben den Bach runtergeht, wenn die Spermien schlechter werden und nichts mehr klappt.“ Sein erstes Verbot bei vielen Akademikern sei deshalb: „Keine Kinderwunsch-Sendung mehr im Fernsehen, kein Sex nach Plan, Thermometer weg – und erst mal ein paar Monate abwarten!“

Doch das hypochondrische Akademikerpaar ist unter Würfels Patienten sowieso die Ausnahme. Denn die meisten stammen aus der Unterschicht, sagt der Arzt. Dort sei der traditionelle Kinderwunsch, der nicht permanent hinterfragt wird, häufiger anzutreffen – Kinder seien in einer normalen Biographie oft unverzichtbar: „So müssen sich kinderlose Männer aus der Unterschicht oft die fiesen Sprüche ihrer Bekannten anhören – etwa: „Soll ich deiner Frau ein Kind machen?“

Insgesamt, sagt Wolfgang Würfel, sei die Akzeptanz der künstlichen Befruchtung in den neunziger Jahren deutlich gestiegen. Beim ersten Fest, das die Klinik vor vier Jahren für ihre Retortenkinder veranstaltete, habe sich noch kaum ein Elternpaar filmen oder interviewen lassen. Heute wagt sich zwar immer noch kein einziges ausländisches Paar zum Kinderfest, obwohl sie fast ein Viertel der Klienten stellen. Doch die deutschen Patientinnen erzählen mittlerweile lässig, daß sie nichts dabei finden, „wenn mein Kind zwei Tage in einem Reagenzglas war“, wie eine Frau sagt.

Vor allem in Bayern gebe es kaum noch Schwierigkeiten mit Politikern und der Öffentlichkeit, sagt Würfel. Gegenläufig zum Abtreibungstourismus habe sich sogar ein „Befruchtungstourismus“ entwickelt – in die vielen Spezialkliniken, die es in Bayern mittlerweile gibt. Politische Unterstützung kommt vor allem von Gesundheitsministerin Barbara Stamm – natürlich nur, solange ausschließlich verheiratete Paare therapiert werden. Daß sie damit im Widerspruch zur katholischen Amtskirche steht, die künstliche Befruchtungen noch immer ablehnt, scheint die bayerische Gesundheitsministerin nicht zu stören. Felix Berth, München

* Name geändert