■ Rundumschlag: Apropos Bakunin-Denkmal: letzter Beitrag zum Anarchismus
2.800 Anschläge stehen zur Verfügung, um diese unselige Kolumne zu Grabe zu tragen, was für eine Freude! Und wir sollen nicht so viel vom Anarchismus reden, das ist der „Tante taz“ nicht trendy genug. Erzählen wir also ein Kapitel aus der Geschichte der Zerstörung. Es war einmal die Love Parade. Gewisse Leute bringen sie mit Woodstock in Verbindung. Die kurzgeschorenen Junghippies aber kennen das legendäre Festival bestenfalls aus dem Kino. Einer der Höhepunkte des Films, liebevoll in Zeitlupe dokumentiert. „Who“-Gitarrist Pete Townshend zertrümmert sein Instrument. Rituelle Zerstörung als fester Programmpunkt. Das ach so friedfertige Publikum jubelt. Wie geht das zusammen? Soziologische Deutung eins: Der Künstler darf als Stellvertreter die heimlichen Wünsche der Menge symbolisch artikulieren. Variante zwei: Selbsthaß der Intellektuellen angesichts ihrer realen Wirkungslosigkeit. Beide Erklärungsmuster sind berechtigt, aber es soll an dieser Stelle um etwas Drittes gehen.
Historische Ableitung: Als Kunststudent am Eeling College hatte der junge Pete Townshend 1962 dem Gastdozenten Gustav Metzger gelauscht. Dieser attackierte rote, schwarze und weiße Nylonbahnen mit chemischen Säuren, die ihr Untergrundmaterial auflösen. Metzger hatte mehrere Manifeste, in denen er „autodestruktive Kunst“ propagierte, verfaßt und darin auch über die akustische Dimension von Zerstörungsprozessen nachgedacht. Zwei Jahre später zerschmetterte Townshend erstmals öffentlich seine Gitarre und schwelgte in Feedback-Orgien. Lärm als Musik – die britische Pop- Variante dessen, was John Cage und die Fluxus-Künstler bereits praktizierten. Nicht nur Cage, auch Gustav Metzger hatte sich mit dem Anarchismus beschäftigt. In London verkehrte er in den entsprechenden Kreisen, und seine Kunst wirkte wie die Anwendung der klassischen Maxime: „Die Lust der Zerstörung ist zugleich eine schaffende Lust.“ Sie stammt von keinem anderen als Bakunin und hat immer wieder Künstlern zur Inspiration gedient. Die Geschichte der modernen Kunst ist eine Geschichte der Zerstörungen, und sie hängt eng zusammen mit dem anarchistischen Gedankengut.
Bakunin selbst war Kunst eher gleichgültig (eine Anekdote besagt, daß er Raffaels Sixtinische Madonna 1849 auf die Dresdner Barrikaden stellen wollte), aber gerade auf diesem Gebiet hat er vielleicht die weitreichendsten Wirkungen entfaltet. Daher ist es nur konsequent, wenn dem Altanarchisten im Medium der Kunst gedacht wird. Sein Denkmal ist eine Ausstellung in den Kreuzberger Räumen der NGBK, die am Sonntag um 16 Uhr zu Ende geht mit der Gründung des „Freundeskreises zur Errichtung einer Unübersichtlichen Anzahl von Bakunin-Denkmälern“ (FEUA). Zu gleichen Zeit konstituiert sich auch der „Freundeskreis zur endgültigen Zerstörung Aller Bakunin-Denkmäler“ (FEZA). Ob es dann zu einer Parade in Richtung Siegessäule kommt? Dieter Scholz
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