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■ Das Beamtenrecht wird noch immer als Tabu behandelt. Zur unendlichen Geschichte einer versäumten ReformSack, Esel und Knüppel zugleich

Am 27. Juni verabschiedete die Regierungskoalition ein „Gesetz zur Reform des Öffentlichen Dienstrechts“. Dieses soll die BeamtInnen zu mehr Leistung motivieren, mehr Flexibilität zulassen und Umsetzungen je nach Behördeninteresse über fünf Jahre hinweg erlauben – und zwar ohne daß die Beamten dagegen Einspruch erheben könnten. Zugleich wird jedoch am Beamtenrecht unverändert festgehalten. Der Sprecher der CDU/CSU, Erwin Marschewski, formulierte im hölzernen Staatspathos: „Auch weiterhin muß das Berufsbeamtentum Rückgrat des öffentlichen Dienstes bleiben, weil es sich als unverzichtbarer Stabilitätsfaktor unserer Gesellschaftsordnung bewährt hat, weil wir eine unparteiische Amtsführung wollen und weil wir Gesetzmäßigkeit, Stetigkeit und Gleichheit im Verwaltungshandeln wollen. Darauf muß sich jeder Bürger und jeder Unternehmer verlassen können.“ Auch den Oppositionsparteien fehlt reformerischer Mut, wenngleich Bündnis 90/ Die Grünen eine Änderung von Art. 33 Abs. 5 GG vorgeschlagen haben, der die berühmt-berüchtigten „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ statuiert.

Warum wird das Beamtenrecht wie eine Tabuzone behandelt? Nach dem Zweiten Weltkrieg und der NS-Herrschaft ist fast nichts so rasch und uneingeschränkt restauriert worden wie das Beamtenrecht und die besagten „hergebrachten Grundsätze“. Heute sind Reformen überfällig. Doch die Diskussion ist, wie üblich, eher wort- als tatenreich. Einige knappe Hinweise mögen dieses ideologieüberlastete Terrain beleuchten.

In seiner kaum noch erinnerten „Radikalen“- oder „Berufsverbots“-Entscheidung von 1975 begründete das Bundesverfassungsgericht die besonderen Anforderungen an BewerberInnen um Stellen des öffentlichen Dienstes, insbesondere Beamtenpositionen, so: „Der Staat“ sei in Krisenzeiten „verloren“, wenn er sich nicht „jederzeit“ uneingeschränkt auf den Beamtenapparat verlassen könne. Darum sei eine besondere „Treuepflicht“ geboten, an der keinerlei Zweifel bestehen dürfe. Dieses „Radikalen“-Urteil, das Millionen von BürgerInnen durch den Rost verfassungsschützerischer Überprüfungen zu schleusen legitimierte, stand und steht in bester deutscher Tradition.

Dieser Tradition, die aus den spätabsolutistischen Fürstenstaaten stammt, entsprechend sind Beamte zuerst und vor allem eines: uneingeschränkte Herrschaftsdiener. Gehorsam ist die erste Beamtenpflicht. Damit die Beamten, Verfassung hin, Verfassung her, uneingeschränkt funktionierten, wurde schon Anfang des 19. Jahrhunderts ein enges Netz positiver (Nichtentlaßbarkeit, Pensionsberechtigung u. ä.) und negativer (eingeschränkte Meinungsfreiheit, besondere Loyalität, zusätzliches Disziplinarrecht) Sanktionen geknüpft. Das ist der Eckstein, der „hergebrachten Grundsätze“, auf dem sich das Gebäude eines vordemokratischen und vorgrundrechtlichen Staates erhebt. Demgemäß geht auch Beamtenrecht vor Bürgerrecht. Der bundesdeutsche Staat hat die vordemokratische Staatstradition in sein Grundgesetz und in seine Verfassungswirklichkeit wie einen riesigen Findling eingemeindet (der im Unterschied zu demselben expandiert), ohne Recht und Organisation des öffentlichen Dienstes demokratiegemäß einzurichten. Daher tritt den BürgerInnen der Beamte prinzipiell als Repräsentant einer abgehobenen „Hoheits“(!)-Verwaltung gegenüber. So werden die BürgerInnen bestenfalls zu Klienten, das heißt zu „Schutzbefohlenen“ der staatlichen Bürokratie. Deren „alltäglicher Herrschaft“ steht Art. 20 Abs. 2 GG gegenüber: „Alle Gewalt geht vom Volke aus“ – soweit sie nicht bürokratisch verschwunden ist.

Vom „schlanken Staat“ ist derzeit in vielen fetten Politikerworten die Rede. Deregulierung, Dezentralisierung, Modernisierung und Effizienzsteigerung – die innovationstrunkenen Formeln jagen sich. Demokratische Mängel werden hingegen nicht einmal gedanklich angetastet. Vom Ausmisten der administrativen Regulierungs-, Zuständigkeits- und Maßnahmewirrnis ist auch nicht die Rede. Dazu bedürfte es auch geradezu herkulischer Kräfte und eines politischen Willens, der auch die eigene bürokratische Infrastruktur beträfe. Statt dessen wird kräftig regulierend dereguliert, um beispielswiese ungleiche arbeitsmarkt-, sozial- und bildungspolitische Kürzungen bürokratisch zu vertäuen. Reprivatisiert wird, um Bürgerprotest angesichts der Verschlechterung der Dienstleistungen ins Leere laufen zu lassen. Der Staat zieht sich zurück. Nicht, weil seine Leistungen schlechter wären als solche privater (ihrerseits bürokratischer) Anbieter. Doch letztere lassen sich die erheblichen sozialen Kosten angesichts des allein dominierenden monetären Kalküls leichter, sprich allein dem Geld (Profit) verantwortlich, verrechnen. Die wie ein Transparent hochgehaltene Reform der Staatsaufgaben erweist sich somit als Mittel, Auf- und Ausgaben zuungunsten der schlechter gestellten BürgerInnen einzusparen. Das politisch-positionelle Lotterleben der gewählten Exekutiven (ruhegehaltsfähige Staatssekretärsposten, periodisch pro Land zu vergeben, zuhauf) und das Dickicht staatlicher Bürokratie bleiben hingegen unangetastet.

Langum: Die Beamten sind der Sack, auf den man schlägt, obwohl der politische Esel zu treffen wäre; derselbe bleibt nämlich interessen-, sprich positionsborniert störisch stehen. I-A; I-A. Die Beamten sind zugleich selbst der Esel, weil sie in einem vielfältig zerklüfteten bürokratischen Geviert arbeiten, in dem sich allenfalls die Bürokraten, gewiß aber nicht Hilfe suchende BürgerInnen auskennen. Und eine Verwaltungshand weiß in der Regel ohnehin nicht, was die andere tut. Schließlich: BeamtInnen sind der Knüppel, weil sie notfalls dafür eingesetzt werden können – und diese „Not“ ergibt sich häufig –, um Reformen, die von Bürger unten angeregt werden, gar nicht erst in den zermürbenden Prozeß der Repräsentation gelangen zu lassen. Die demokratische Effizienz der überfälligen Reformen des Beamten- und Verwaltungsrechts zählt im ineffizienten Effizienzgeschwätz ohnehin nichts. Wolf-Dieter Narr

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