Wenn Insektenforscher ihre Eltern suchen

■ Neu im Kino: „Flirting with Disaster“ / Neues Genre „Adoptionsfilm“

Mag sein, daß wir im Kino gerade das Entstehen eines neuen Genres beobachten können: des „Adoptionsfilms“. In den nächsten Monaten kommen gleich drei Filme in die deutschen Kinos, in denen sich jemand auf die Suche nach der leiblichen Mutter eines Kindes macht, das gleich nach der Geburt zur Adoption freigegeben wurde. In Woody Allens „Mighty Aphrodite“ ist Allen selbst der Pflegevater, der neugierig darauf ist, aus wessen Genen sein Adoptivsohn zusammengesetzt ist. In Mike Leighs „Lügen und Geheimnisse“ entdeckt eine schwarze Akademikerin, daß ihre biologische Mutter eine weiße Fabrikarbeiterin ist. Und in „Flirting with Disaster“ wird die Suche nach den Erzeugern zu einem abgedrehten Roadmovie.

„Flirting with Disaster“ ist eindeutig der leichtgewichtigste und konventionellste von den dreien, aber neben den alten Hasen Allen und Leigh kann der Nachwuchsregisseur David O. Russell mit seinem zweiten Spielfilm durchaus bestehen. Er erzählt hier von dem etwas verklemmten Insektenforscher Mel Coplin, der kurz nach der Geburt seines ersten Sohnes unbedingt seine eigenen Ursprünge ergründen will. Mit Säugling und frustrierter Ehefrau reist er durch die USA, und weil er durch einen Computerfehler zuerst auf eine falsche Fährte gelockt wurde, muß er insgesamt gleich drei gefühlvolle Familienzusammenführungen über sich ergehen lassen. Dabei kommt er ganz schön im Land herum, bis der Film schließlich mit dem dramatischen Showdown zwischen ihm und seinen Erzeugern endet.

Zusätzlich kompliziert wird die Suche nach der verlorenen Familie durch die attraktive, aber etwas neurotische Doktorandin Tina, die die Coplins auf der Reise begleitet, um diese als soziologischen Feldversuch auf Video zu dokumentieren. Und schließlich gibt es auch noch Mels Adoptiveltern, die ihren Sohn nicht kampflos den biologischen Eltern überlassen wollen.

Russell läßt einfach möglichst extreme Persönlichkeiten in möglichst extremen Situationen aufeinandertreffen, huscht von einer komischen Szene zur nächsten und ist schon zufrieden, wenn zumindest jede zweite zündet. Dieser überbordende, leicht chaotische Stil, bei dem einige der schönsten Pointen wirken, als wären sie ganz beiläufig aus dem Handgelenk geschüttelt worden, gibt dem Film eine übermütige, sehr sympathische Grundstimmung.

Bei solchen Komödien, die eher auf den Charakteren als auf der Konstruktion aufbauen, ist die Besetzung fast noch wichtiger als die Pointen. Ben Stiller stolpert in der Rolle des Mel mit genau der richtigen Hilflosigkeit durch den Film, und Patricia Arquette („True Romance“, „Ed Wood“) traut sich, seine Ehefrau mit Depressionen und Gewichtsproblemen sehr verletzlich und uneitel zu spielen. Aber Russells geschicktester Schachzug war es, die vermeintlichen, echten oder Ersatz-Eltern mit Veteranen der amerikanischen Filmkomödie zu besetzen. George Segal („Wo ist Papa?“ „California Split“), Allen Alda („M.A.S.H“, „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“) oder Lily Tomlin („Nashville“, „Short Cuts“) sind als Filmhelden aus der Gegenkultur der 60er und 70er Jahre so präsent, daß sie hier nur Schlüsselworte wie „Acid“ oder „Hell's Angels“ fallen lassen brauchen, und schon kann sich der Zuschauer ihre Vergangenheit aus den alten Rollen zusammenzimmern. Am besten funktioniert der Film, wenn Russell die Generationen aufeinanderprallen läßt, und Mel etwa viel reifer und erwachsener wirkt als die ewigen Hippies, die sich als seine Eltern entpuppen.

Wilfried Hippen

In Filmstudio und UT-Kinocenter