Kinderidylle wird geopfert

■ Zeltplätze der Kinder- und Jugenderholung auf Schwanenwerder droht Verkauf. Neukölln schließt Bildungsstätte. Bezirke erstellen Übersicht über Liegenschaften

Schwanenwerders Zeltlagerromantik und Kinderidylle stehen möglicherweise vor dem Aus. Mehrere Grundstücke auf der Wannsee-Insel und in deren näherem Umkreis, auf denen Bezirke jahrzehntelang unzähligen Kindern Ferien und Tagesausflüge ermöglichten, könnten noch in diesem Jahr verkauft werden.

Zu den Bezirken, die am Wannsee Zelt-, Spiel- und Sportplätze sowie Schullandheime für „Kinder in Luft und Sonne“ verwalten und fachlich nutzen, gehören Schöneberg, Tempelhof, Steglitz und Neukölln. Die Grundstücke befinden sich zu einem Großteil auf Schwanenwerder, die Schullandheime Neuköllns und Schönebergs liegen nicht unweit des Strandbades Wannsee.

Angebote reduziert

Hierher kommen Schulklassen, Kinder- und Jugendläden, Jugendfreizeitheime sowie Sport- und Kulturvereine aus den innerstädtischen Bezirken, aber auch internationale Gruppen und Kinder aus Partnerstädten. In welch überwältigendem Maße die Kinder- und Jugenderholungsmaßnahmen genutzt werden, zeigen Zahlen der Abteilung Jugend vom Bezirksamt Steglitz: 1995 zelteten allein auf dem Steglitzer Grundstück 4.000 Personen, 2.000 weitere reisten zu Tagesaufenthalten an.

Bereits zu Beginn dieses Jahres wurde aufgrund der Haushaltseinsparungen in Schöneberg die Fortdauer der Kinder- und Jugendprogramme auf Schwanenwerder in Frage gestellt. Die Angebote der Aktion „Kinder in Luft und Sonne“ mußte in diesem Jahr drastisch reduziert werden: Fast 50 Prozent weniger Kinder als 1995 konnten daran teilnehmen.

Diese Kürzungen gipfeln nun in der Überlegung, den Schöneberger 20.000 Quadratmeter großen Zeltplatz zu verkaufen. Auslöser war eine vom Hauptausschuß des Abgeordnetenhauses für 1996 beschlossene Regelung, derzufolge die Einnahmen aus Verkäufen bezirkseigener Grundstücke je zur Hälfte in die Kassen des Landes und des jeweils veräußernden Bezirkes fließen. Ulrike Herpich, bündnisgrüne Bezirksrätin für Jugend, Schule und Sport in Schöneberg, bestätigt die Verkaufsabsichten. Schwanenwerder solle aber nur dann verkauft werden, „wenn wir zuvor eine adäquate Alternative für Kinderfreizeiten, zum Beispiel im Brandenburger Umland, gefunden haben“. Auch das Schullandheim Am Sandwerder, meint Herpich, sei für eine Veräußerung im Gespräch.

In der Tempelhofer Abteilung für Jugendarbeit behauptet man, von derartigen Verkaufsabsichten nichts zu wissen. Ähnlich in Steglitz, wo Unklarheit über das Fortbestehen der Schwanenwerder Ferienkolonie herrscht: Soll verkauft werden oder nicht? Und: Gehört uns das Grundstück überhaupt? Auch in Neukölln will man keine Auskünfte über geplante Veräußerungen geben, auch wenn der Leiter des bezirkseigenen Schullandheims von solchen Vorhaben bereits gehört haben will.

Hohe Grundstückspreise

Die Bezirke nutzen die Sommerpause, um eine genaue Bestandsaufnahme der Liegenschaften und ihrer Unterhaltskosten zu erstellen, die überhaupt für eine Veräußerung geeignet sind. Dazu gehören natürlich auch Grundstücke, die ohnehin leerstehen. In die Zwickmühle geraten die Bezirke dann, wenn eine, auf den Markt bezogen, attraktive Lage mit einem sozialen Nutzfaktor zusammenfällt – wie eben am Wannsee und auf Schwanenwerder, wo die Grundstückspreise bei satten 1.300 Mark pro Quadratmeter liegen.

Der Zehlendorfer Sachbearbeiter für Ver- und Ankauf von Grundstücken, Nienaber, meint dazu: „Wenn die Bezirke glauben, von der Fifty-fifty-Regelung profitieren zu können, haben sie nicht genau hingehört.“ Der Beschluß des Abgeordnetenhauses schreibe nämlich vor, daß sämtliche Einnahmen aus Veräußerungen ausschließlich in den konsumtiven Bereich fließen sollen – also unter anderem für gesetzliche Pflichtleistungen wie die Sozialhilfe. Würden Liegenschaften mit Kinder- und Jugendeinrichtungen verkauft, könne man nicht auf die so erworbenen Gewinne zurückgreifen, um einen wie auch immer gearteten Ersatz zu finanzieren.

Michael Freiberg (CDU), Neuköllner Finanzstadtrat, schlägt deshalb vor, nicht auf Veräußerungen zu verzichten, wohl aber die Hauptauschußvorgabe zu modifizieren. Allen, auch den Sozialeinrichtungen für Kinder und Jugendliche, könne geholfen werden, wenn die Einnahmen der Bezirke statt in den konsumtiven in den investiven Bereich fließen dürften. „Vermögen muß für Vermögen aufgewendet werden“, meint Freiberg und preist die Möglichkeiten wirtschaftlicher Belebung durch Reinvestitionen bei Baumaßnahmen im innerstädtischen Bereich. „Wenn die Stadtranderholung wegfallen sollte, müssen wir eben die innerstädtischen Angebote verdichten.“

Gegen die Nutzungseinschränkung und Verkaufsabsichten des Schöneberger Zeltplatzes Schwanenwerder will der Verein für erlebnispädagogische und soziokulturelle Kinder- und Jugendarbeit „Nix wie raus!“ am 15. September protestieren. Eine unverzichtbare Ferienerholungsmaßnahme für Kinder, die in den Sommerferien aus verschiedenen Gründen nicht verreisen können, „dürfe auf keinen Fall gestrichen werden“. Der Sparzwang muß nicht unbedingt zu Verkäufen führen. Auch Schließungen drohen – wie das jüngste Beispiel aus Neukölln zeigt: Der kostenträchtige Betrieb der Freizeit- und Bildungsstätte „Ella Kay“ in Kladow am Wannsee wird zum 1. September eingestellt. Eva Behrendt