■ Bundesarbeitsgericht weist entlassene DDR-Lehrerin ab
: Lesarten der SED

Zugegeben, es gab in der DDR brisantere Witze als den, die Abkürzung S.E.D als „so ein Dreck“ zu dechiffrieren. Die Rostocker Lehrerin, die 1973 vor ihren versammelten Viertklässlern diesen Scherz zum besten gab, wurde dennoch prompt gekündigt. Ihre nach der Wende eingebrachte Klage auf Wiedereinstellung und Schadensersatz hat jetzt das Bundesarbeitsgericht in letzter Instanz abgewiesen.

Tatsächlich besteht für „Fälle“ wie den der Rostocker Lehrerin kein Rechtsanspruch auf Wiedereinstellung, denn die neuen Bundesländer, nach der Verfassung Gebieterinnen über Schule und Kultur, hatten sich nach 1990 hartnäckig geweigert, eine solche Möglichkeit gesetzlich vorzusehen. Sie argumentierten mit der drohenden LehrerInnen„schwemme“, mit der beruflichen Dequalifizierung der vom SED-Staat Gemaßregelten, mit der zu erwartenden Belastung der Lehrerkollektive und ähnlichen kostensparenden, aber allzu bequemen Ausflüchten.

Den Opfern blieb der Rekurs auf das SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, jenes „Omnibus“-Gesetzeswerk, in dem Rehabilitationsmaßnahmen arbeits-, straf- und verwaltungsrechtlicher Natur zusammengekoppelt sind. Statt eines vollen Entschädigungsanspruchs werden auch hier nur Beihilfen, Rentenaufstockungen, Bafög etc. angeboten.

In seinem abweisenden Urteil referiert das Kasseler Gericht aber nicht nur diese trostlose Rechtslage. Dpa zufolge verwiesen die Arbeitsrichter auf den Einigungsvertrag, der Rechtsakte der ehemaligen DDR, im vorliegenden Fall also die Kündigung, für rechtswirksam erklärt. Nur bestimmt Art. 19 eben dieses Vertrages, daß solche (Verwaltungs-)Akte aufgehoben werden können, wenn sie rechtsstaatlichen Prinzipien widersprechen. Selbst wenn man unterstellt, daß eine Lehrerin, die in der alten Bundesrepublik C.D.U. als Chauvinistische deutsche Unterlinge gelesen, auch Ärger bekommen hätte: Die Rostocker Kündigung war zweifellos rechtsstaatswidrig. Selbst wenn ein zuständiges Gericht die Kündigung annullieren würde – von einer gerechten Lösung wäre der „Fall“ unserer Lehrerin genausoweit entfernt wie Tausende anderer Fälle von Widerstandshandlungen gegen das SED-Regime auch (s. o.). Christian Semler