■ Die Überfälle auf Camingplätzen in Mecklenburg zeigen: Im Westen nimmt die rechte Gewalt ab, im Osten zu
: Ostalgie-Terror?

Fremdenfeindlichkeit ist keine ostdeutsche Spezialität. Schwandorf, Mölln, Solingen, vielleicht auch Lübeck – im Westen, nicht im Osten, wurden Menschen bei heimtückischen neonazistischen Anschlägen verbrannt.

Und dennoch gibt es ein Ostproblem. Fremdenfeindliche Straftaten nehmen seit 1993 bundesweit ab. 1993 waren es 6.721, ein Jahr später 3.491, im letzten Jahr 2.468. Bundesweit, wohlgemerkt. Der Osten geht eigene Wege. In Sachsen-Anhalt verdoppelte sich die Zahl fremdenfeindlich motivierter Straftaten zwischen 1993 und 1994. Im gleichen Zeitraum verdreifachte sich die Zahl der aktiven Neonazis. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen stieg die Summe fremdenfeindlicher Straftaten 1995 erneut um 30 Prozent.

Die Meldungen dieser Tage von Überfällen auf Campingplätzen mögen beunruhigen, aber die Zahlen offenbaren: Die rechte Gewaltwelle ist nicht neu. Ruhe herrschte seit 1994 nur in der öffentlichen Diskussion. Jugendlicher Rechtsextremismus war kein „Thema“ mehr. All die Argumente über Arbeitslosigkeit, fehlende Tischtennisplatten, zerrüttete Familien, wer wollte sie noch hören? Das Problem war totgeschwafelt, bevor sich wirklich etwas geändert hatte.

Aus der rechten Gewaltszene war für die Unterhaltungsindustrie beim besten Willen nichts Quotenträchtiges mehr herauszuquetschen. Nach dem Höhepunkt Solingen (1993) begann sich das Publikum zu langweilen, es fehlte der Thrill. Und nach all den Selbstgeißelungen („der alte Schoß...“) und Goodwill-Aktionen („mein Freund ist...“) beanspruchte auch der kritische Bürger europäische Normalität.

Und gab es die nicht? Befreites Aufatmen war zu hören, als nach Reichstagsverhüllung und Love Parade die internationale Presse das neue, lockere Deutschland lobte. Weiteres Aufatmen folgte, als militante PKK-Aktivisten die Bühne betraten. Nun herrschte Klarheit: Kein Anschlag muß von einem Deutschen verübt sein. Inzwischen sind wir so locker geworden, daß selbst deutschen Brandschutzexperten der nötige Ernst bei der Arbeit fehlt.

Die Frage bleibt: Warum gehen Jugendliche im Osten und Westen seit 1993 zunehmend getrennte Wege? Gibt es plötzlich blühende Landschaften im Westen? Mehr Tischtennisplatten und Abenteuerreisen? Haben Westjugendliche es plötzlich weniger nötig, sich an den Schwächsten zu vergreifen? Und bleibt dem gedemütigten, ausgeplünderten Osten wieder nur (fremdenfeindliche) Randale als Protest gegen Lehrstellennot und Betriebsschließungen?

Erst kommt das Fressen und dann die Moral – diese vulgärmarxistischen Verklärungsansätze werden dieser Tage wieder aus dem Zylinder gezaubert. Ja, der Kapitalismus ist zynisch, gewalttätig und ungerecht. Wer hätte das gedacht? Und gewiß werden im Osten ganze Regionen deindustrialisiert. Aber das ist nun für wahr nicht ostspezifisch – siehe Saarland, Ruhrgebiet und Bremen. In Westberliner Bezirken wie Neukölln und Wedding leben mehr als 40 Prozent von Arbeitslosengeld, -hilfe oder Sozialhilfe, zum Teil seit zwei Generationen.

So bleibt die Frage: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Sonderweg Ost, dem dort vorherrschenden „Ethnozentrismus“ (wann hat sich eigentlich ein Ostler jemals zum sozialen Elend in Essen oder Bremerhaven geäußert?) und den häufig zu hörenden nationalbolschewistischen Tönen:

Kauft Ostprodukte! Der Osten wird vom Westen kolonialisiert! Die Wessis sind dumm, arrogant, Prahlhanse! Ein Hoch der Ostidentität! Wir waren erotischer, solidarischer, menschlicher als ihr. Auch unsere Rockmusik war besser! Natürlich auch die Sportler.

Wer aus Minderwertigkeitsgefühlen heraus zum Größenwahn neigt, folglich impertinent das hohe Lied des pfiffigen, guten, überlegenen Ostmenschen pfeift und sein Antiwestlertum pflegt, der braucht sich nicht zu wundern. Schon gar nicht darüber, daß an der Ostseeküste oder in der Altmark ein paar junge Superossis Weicheiern aus dem Westen zeigen, wo Bartel den Most holt. War doch klar, daß dieses anhaltende Lamento, wie übel man dem Osten nach 1990 mitspielte, Rabauken eine Orientierung für ihre unruhigen Fäuste verschafft. Westberliner Schulklassen bekamen sie zur Genüge und handfest zu spüren. Sie meiden nicht erst seit dem Sommer 1996 so heimelige Fleckchen wie Usedom, Rügen, den Ostharz oder den Süden Sachsens, sondern seit sechs Jahren. Kann es also sein, daß seit der Wiedervereinigung so unterschiedliche Parteien wie die CDU und die PDS den Humus für Xenophobie bereiten?

Erinnern wir uns: Als völkische Straßenbanden in der ersten Hälfte der 90er Jahre mit Vorliebe Türken und dunkelhäutige Asylbewerber terrorisierten und ermordeten, waren sich viele einig: Die Anti-Asyl-Kampagne, ein überlebtes Staatsangehörigkeitsrecht, institutionalisierter Rassismus und das Spiel mit xenophoben Ressentiments seitens Teilen der CDU und SPD als Strategie des ökonomischen Krisenmanagements waren die Ingredienzen, die die Eskalation der rechten Gewalt förderten. Einig war man sich auch, daß die rechtsradikalen Gewalttäter ihre Hinweisreize aus dem Diskurs der politischen Mitte beziehen.

Und woher beziehen die Kerle beim Wessi-Aufmischen ihre Hinweisreize? So ganz klar ist mir das nicht. Allerdings fällt bei Interviews mit Ost-Rechtsradikalen immer wieder deren ambivalentes Verhältnis zur PDS auf. Natürlich lehnen sie das Sozialistische der Partei ab. Aber von deren Ostpatriotismus, dem Antiwestlertum und der Forderung „(ost)deutsche Arbeitsplätze für (Ost)Deutsche“, davon sind sie schon begeistert.

Wie gesagt, rechtsradikal motivierte Gewalt gibt es auch im Westen. Die Motive und Ursachen dürften ähnliche sein wie im Osten. Aber vom „Ossi-Klatschen“ als Freizeitbeschäftigung der gelangweilten Landjugend war bisher nichts zu hören. Sollte es daran liegen, daß es im Westen keine Partei gibt, die die Westidentität als de facto ethnische verherrlicht und in expliziter Abgrenzung zum Osten glorifiziert? Eberhard Seidel-Pielen