: Koteletts für Moslems
Beim Internationalen Jugend-Workcamp im Flüchtlingswohnheim Kladow tun sich die zehn Teilnehmer und 580 Bewohner gleichermaßen schwer ■ Von Isabel Fannrich
Die 580 Flüchtlinge und Asylbewerber im Flüchtlingswohnheim in Kladow können es einfach nicht verstehen: Sie hängen zum Teil schon seit sechs Jahren in den knallblauen Unterkünften in Wannseenähe fest und harren einer Veränderung. Und plötzlich taucht eine Gruppe arbeitswütiger Jugendlicher auf, von weither angereist, um auf freiwilliger Basis zwei Wochen lang an diesem Leben teilzunehmen. Sie wollen verändern und erwarten, daß die Bewohner am selben Strang ziehen.
Und selbst in der Gruppe ist das Zusammenleben in Kladow schwierig genug: Die Charaktere und kulturellen Hintergründe der aus den USA, der Schweiz, Frankreich, Italien, Finnland und Deutschland stammenden Freiwilligen sind sehr unterschiedlich. Ein bunter Vogel ist der Schotte Benjamin mit seinen 55 Jahren; die übrigen Camper sind hingegen nicht älter als 25. Der Workcamp- erfahrene Graubärtige ergreift schnell das Wort: „Ich arbeite als Lehrer, und die Ferien verbringe ich in Workcamps. Es ist billiger, Europa auf diese Weise kennenzulernen.“
Anders sind die Motive der Jüngeren. Joe aus Chicago hat über die amerikanischen Medien von europäischen Flüchtlingslagern gehört. Der 23jährige Finanzberater will sie vor Ort kennenlernen. Die italienische Pädagogikstudentin Arianna hat in ihrer Heimat ständigen Kontakt zu Flüchtlingslagern in Slowenien: „Ich wollte den Flüchtlingsalltag in Deutschland kennenlernen, auch wenn mir dieser Einblick zeitlich zu begrenzt ist.“
Idee und Organisation dieses Workcamps stammen vom Service Civil International SCI, der 1920 infolge des Ersten Weltkriegs in Frankreich entstanden ist. Inzwischen vermittelt die Organisation jährlich rund 5.000 Freiwillige in über 500 Workcamps. Das intensive Zusammenleben und Arbeiten in einem Camp soll den kulturellen Austausch fördern.
Als die Gruppe vor zehn Tagen in Kladow ankam, mußte sie sich zunächst mit der ungewohnten Heim-Atmosphäre auseinandersetzen: In den acht Gebäuden sind knapp 600 Menschen untergebracht, größtenteils Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, davon zwei Drittel Kinder. Ein Gebäude ist von Roma besetzt, „tatsächlich das schmutzigste Haus“, bedauert Nina: „Hier gibt es eine klare Hierarchie, die verschiedenen Gruppen gehen sich aus dem Weg.“
Einziger Treffpunkt auf dem weitläufigen, mit Stacheldraht umfaßten Gelände sind das Waschhaus und ein Spielplatz. Matthias und Franziska, die beiden Campleiter aus den neuen Bundesländern, haben im Gegensatz zu den anderen mit dieser trostlosen Stimmung gerechnet, sind aber über die Enge der Wohnverhältnisse bestürzt.
Wie die Flüchtlinge im eigenen Land untergebracht sind, ist den Workcampern zumeist unbekannt. Entweder gibt es keine Flüchtlingsheime, oder sie liegen, wie der Schweizer Christoph sagt, „zu weit draußen auf dem Land“.
Die erste Woche verstrich mit Eingewöhnen, ohne allzuviel auf die Beine gestellt zu haben. Campleiter Matthias bemängelt, daß vor allem die Westeuropäer und Amis mit einem fertigen Arbeitsplan gerechnet hätten. Es sei allerdings SCI-Philosphie, daß die Teilnehmer selber entscheiden, was sie machen wollen. Inzwischen ist die Freizeitgestaltung für die Kinder und Jugendlichen des Heims zum Schwerpunkt geworden. Die Gruppe stellte Schaukelpferde auf und ist dabei, den Kinderraum zu bemalen und für den Jugendclub eine Theke zu basteln.
Der Kontakt zu den größtenteils bosnischen Flüchtlingen entwickelte sich nicht so intensiv wie erwartet. „Wir wollten mit den Jugendlichen zusammen die Räume gestalten, doch nach anfänglicher Euphorie haben nur wenige geholfen“, erzählt Meghan geknickt. „Die Leute leben hier wie auf der Durchreise und sind gar nicht an einer aktiven Veränderung interessiert.“
„Wir sind so unerfahren, daß wir die Moslems auf einer Feier mit Schweinefleischwürstchen bewirten wollten“, gibt der Schweizer zu. „Immerhin werden wir von einigen Familien zum Kaffee oder zum Essen eingeladen“, stellt Franziska dagegen. Die Kinder seien am zugänglichsten, die kämen zum Spielen und zum Englischlernen.
„Was erwartet ihr eigentlich“, provoziert der Sozialarbeiter des Heims, Christoph Leucht: „Das ist das erste Workcamp in diesem Heim. Die Leute können euch nicht einschätzen, finden euch komisch: Ihr seid viel reicher und lauft gammliger herum als sie.“ Campleiter Matthias hätte sich zumindest mehr Interesse von der Bevölkerung in Kladow gewünscht: „Doch die Gemeinde möchte uns keinen Raum zum Feiern zur Verfügung stellen. Wir selber lernen noch am meisten in diesen zwei Wochen.“
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