„Wir fordern die Hälfte des Haushalts“

■ Frauen- und Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) im Streitgespräch über Frauenförderung und den Berliner Sparhaushalt mit Angelika May (Frauenzimmer), Birgit Daiber (Goldrausch), Ulrike Kreyssig (Violetta Clean) und Ute Einicke (Frauenzentrum Frieda)

taz: Berlin, die Stadt der Frauen, wird immer mehr zur Stadt der Männer. Frauenprojekte werden überproportional zusammengekürzt, aus dem nur 30 Millionen Mark umfassenden Minihaushalt der Frauensenatorin werden rund 20 Prozent rausgeschnitten. Wie verträgt sich das mit Ihrer politisch-feministischen Moral, Frau Bergmann?

Christine Bergmann: Bis 1994 haben wir in den Frauenprojekten aufgestockt. Erst 1996 mußten wir so richtig kürzen, das eine oder andere konnten wir aber durch Mittel aus dem europäischen Sozialfonds auffangen. Wenn wir wirklich überall 20 Prozent hätten sparen müssen, sähe es noch schlimmer aus. Das ist alles sehr unerfreulich, aber jetzt müssen wir auch ein Stück nach vorn gucken. Wir haben den Auftrag vom Abgeordnetenhaus erhalten, die Projekte zu evaluieren, Transparenz über die Finanzierung herzustellen, zu klären, wo gibt es Doppelangebote, wo können Einnahmen erzielt werden. Doppelangebote können übrigens durchaus begründet sein, Zufluchtswohnungen brauchen wir natürlich in allen Bereichen.

Ulrike Kreyssig: Hier müssen wir aufpassen: Manche Projekte sind in ihrem Bezirk oft ohne Alternative, andere sind bezirksübergreifend. Hier werden Projekte leicht gegeneinander ausgespielt.

Christine Bergmann: Wir müssen immer wieder deutlich machen: Frauenprojekte sind kein Luxus. Es gibt hier politische Kräfte, die sagen: Das ist keine Pflichtaufgabe. Ich sage: Pflichtaufgaben umfassen mehr als das gesetzlich Vorgeschriebene. Hilfe in Gewaltsituationen zum Beispiel ist eine Pflicht des Staates. In ökonomisch und sozial schwierigen Zeiten brauchen Frauen diese Projekte mehr denn je.

Ute Einicke: Zu einer funktionierenden Infrastruktur gehört aber eine Regelfinanzierung. Gerade im Osten sieht das katastrophal aus: ABM soll auf Westniveau zurückgestuft werden, die 249-h-Stellen nach dem Arbeitsförderungsgesetz sollen 1997 auslaufen. Diese kurzfristigen Instrumente wurden 1990 geschaffen, für Dauerhaftigkeit können sie überhaupt nicht sorgen.

Christine Bergmann: Im Moment ist die Situation sehr kritisch, einige Arbeitsämter können jetzt schon, Mitte des Jahres, keine weiteren ABM-Stellen mehr fördern. Und wir können auch nicht mehr im bisherigen Umfang die sogenannten 249-h-Stellen finanzieren, denn dabei muß das Land zwei Drittel selbst bezahlen. Wir haben auch im Arbeitsmarktbereich Einsparungen zu leisten. Gerade im Ostteil der Stadt gibt es Lücken, die wir nicht schließen können.

Birgit Daiber: In der Erklärung, die „Goldrausch“ zusammen mit Frauenprojekten Ende 1995 verfaßt hat, haben wir die innovative Kraft dieser Projekte betont, die durch die Instabilität von ABM- Strukturen und durch die fehlende Wirtschaftsförderung ausgebremst wird. „Goldrausch“ verteilt – ausschließlich ehrenamtlich – rund 100.000 Mark Fördergelder pro Jahr an Frauenprojekte und berät viele Existenzgründerinnen, die von den Banken oft abgewiesen werden, weil ihr Kreditbedarf zu gering sei. Hier müßten Sie viele bürokratische Hürden beseitigen. Die Frauen sagen immer: Es ist ein Stück unserer Würde, unser Eigenes zu tun und nicht unter die staatliche Alimentierung zu fallen. Aber es gibt viele Ausgründungen im frauenpolitischen Arbeitsmarktbereich, die keine Förderung erhielten, weil sie zu klein waren.

Christine Bergmann: Bei der Wirtschaftsförderung haben wir schon einiges bewegt. Es gibt die Arbeitsgruppe Frauen und Wirtschaft, wir führen zusammen Stammtische für Existenzgründerinnen und Unternehmerinnen durch, veranstalten Frauenfinanzforen und laden die Banken dazu ein. Frauen haben nach wie vor Probleme, an das notwendige Geld ranzukommen, sie werden von den Banken gefragt: Was sagt denn Ihr Mann dazu? Deswegen haben wir auch Risikokapital bereitgestellt, damit Ausgründungen aus Beschäftigungsgesellschaften überhaupt möglich sind. Alle haben über Outsourcing geredet, aber es gab keine Instrumente dafür. Demnächst werden wir ein kreditfinanziertes Existenzgründerprogramm auflegen, das über zehn Jahre läuft.

Birgit Daiber: Ich habe den Eindruck, daß die Frauenprojekte in Berlin zu sehr per Gießkanne gefördert werden. Die Frauenprojekte haben keinerlei Planungssicherheit. Sie haben keine Zeit, Gelder zu akquirieren, sie müssen ständig ihre Konzepte umschreiben, anpassen, verändern, reduzieren. Das ist unerträglich. Für die Frauen wäre es wichtig zu wissen, welche Entwicklungsstrategien und strukturpolitischen Kriterien angelegt werden – um auch zu wissen, welche Bereiche werden weiter gefördert und welche nicht.

Christine Bergmann: Ich finde es interessant, daß Sie sagen, Schwerpunkte müssen gesetzt werden. Das heißt nämlich harte Entscheidungen treffen, und dann haben wir Sie alle vor der Tür. Ich sehe es aber nicht so, daß wir per Gießkanne gefördert hätten. Wir haben immer Prioritäten gesetzt. Die Antigewaltarbeit hat für mich große Priorität. Bis 1996 haben wir dort nicht gespart und zusätzlich das wichtige Krisen- und Beratungszentrum für Frauen und Mädchen installiert, die von sexueller Gewalt betroffen sind, sowie das Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt. Jetzt muß auch hier gekürzt werden, wenn auch in etwas geringerem Ausmaß, weil die Sparsumme zu groß wurde. Zur Planungssicherheit: Dieses Problem ist praktisch nicht lösbar, solange wir mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen arbeiten. Die Bundesgesetzgebung läßt keine Kontinuität zu. Solange wir kein Arbeits- und Strukturfördergesetz haben, mit dem man Projekte über mehrere Jahre fördern kann – die SPD-Bundestagsfraktion fordert dies –, so lange können wir uns hier auf den Kopf stellen und mit den Füßen wackeln.

Ute Einicke: Ist es nach sechs Jahren schlechter Erfahrungen nicht langsam an der Zeit zuzugeben, die Instrumente ABM und AFG funktionieren nicht?

Christine Bergmann: Von Anfang an haben wir gesagt, daß die vorhandenen Arbeitsmarktinstrumente nicht auf Dauer eine Regelfinanzierung ersetzen können. Darauf verzichten können wir aber auch nicht.

Angelika May: Ich höre immer: Wir müssen den Gürtel enger schnallen. Die Projekte waren auch in den letzten Jahren noch nie so ausgestattet, daß da noch Löcher im Gürtel wären. Wenn man im Antigewaltbereich Plätze streicht, gibt es für die geschlagenen, oft auch traumatisierten Frauen keine Alternativen. Ich bezweifle sehr, ob das Tempo des Sparens wirklich nötig ist. Warum hat die Finanzsenatorin erst gekürzt und dann die Strukturdebatte eingefordert? Im Frauenhaushalt werden nur kleine Projekte gefördert, hier haben Kürzungen von 10 oder 20 Prozent viel drastischere Auswirkungen als bei Großprojekten. Der Rasenmäher mäht alles nieder, tabula rasa. Wir sind alle schon kaputt, bevor die Strukturdebatte beginnt.

Christine Bergmann: Für den Haushalt 1997 haben wir die Evaluierungsaufgabe noch vor uns und damit die Strukturdebatte. Manche Projekte sagen jetzt: Die Evaluierung machen wir nicht mit.

Ute Einicke: Weil sie Angst haben, die Daten für ihre eigene Abwicklung zu beschaffen. Weil sie sagen: Kein Bereich ist so transparent wie der Frauenbereich, wir müssen uns doch ständig ausziehen bis aufs letzte Hemd.

Christine Bergmann: Dafür habe ich Verständnis, trotzdem möchte ich bitten: Beteiligen Sie sich an der Debatte, damit wir zusammen zu vernünftigen Kriterien kommen. Und: Wir sind nicht mit dem Rasenmäher drübergegangen. Bisher haben nur wenige Projekte dran glauben müssen. Wir wissen ja, die kleinen Projekte müssen dichtmachen, wenn wir beim Personal sparen. Also haben wir entschieden: Nur die Projekte, die mehr als zwei Personalstellen haben, müssen 10 Prozent Personalkosten kürzen.

Angelika May: Die Frauen stehen jetzt vor der Entscheidung, entweder sie arbeiten sich ohne Bezahlung tot, oder sie reduzieren die Angebote und damit die Qualität ihrer Arbeit und laufen Gefahr, daß ihnen genau das vorgeworfen wird, daß sie dann nicht mehr gefördert werden. Zweiter Punkt: Wegen des Sparkurses sind die Projekte gezwungen, Drittmittel zu akquirieren, um zu überleben, obwohl rechtliche Voraussetzungen für deren Verwendung fehlen. Das Zuwendungsrecht sieht eindeutig vor, daß Drittmittel auf die Zuwendungen angerechnet werden, derzeit profitiert also nur der Landeshaushalt von der Drittmittelakquirierung. Beim Sponsoring ist die Steuerfreiheit für die Projekte endlich zu regeln. Und: Sponsoring braucht einen langen Vorlauf: Wo sind Sponsoren? Welches Projekt paßt zu wem? Diese Zeit haben wir bei diesem Spartempo gar nicht.

Christine Bergmann: Sie haben völlig recht, Sponsoring und Drittmittel kann man nicht einfach so als Joker aus der Tasche ziehen. Und dadurch, daß im Moment alle Sponsoren suchen, wird's auch nicht leichter. Seit Jahr und Tag reden wir über eine Reform der Landeshaushaltsordnung, damit wir Leistungsverträge machen können, mehr Kontinuität in die Arbeit bringen können.

Ulrike Kreyssig: Bei unserer Klientel – ehemals suchtmittelabhängige Frauen – ist es schwer, an Drittmittel heranzukommen. In der Dircksenstraße haben wir das Projekt alkohol- und drogenfreies Frauencafé aufgebaut. Wenn ich stärker unternehmerisch denke, wie viele es jetzt in der Krise von den Projekten verlangen, dann würde ich nicht mit Ex-Drogenabhängigen arbeiten, sondern ein schickes Restaurant aufmachen. Nicht nur bei uns, im ganzen Ostteil der Stadt ist mit den Instrumentarien ABM und AFG viel aufgebaut worden. Das, was da jetzt wegbricht, trifft zum allergrößten Teil Frauen, die schon vor fünf Jahren zum ersten Mal abgewickelt wurden, die sich jetzt qualifiziert haben, gute Arbeit leisten und nun wieder auf der Straße stehen. Das grenzt an Menschenverachtung.

Angelika May: Wir führen schon wieder eine Defensivdebatte. Frauen sind mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Warum stehen wir nicht auf: So, die Hälfte gehört uns? Statt dessen überlegen wir, wie wir die letzten verbleibenden Pfennige auf uns umverteilen. Ich verlange eine Umverteilung von oben nach unten und behaupte: Das Land Berlin hat durchaus noch Geld und verzichtet auf die Erhöhung seiner Einnahmen. Man hätte bei den Großprojekten sparen sollen, damit hätte man zudem Zeit für eine Strukturdebatte gewonnen, statt willkürlich die soziale Infrastruktur zu zerstören.

Frauen scheinen derzeit nicht nur das Arbeitslosenheer, sondern auch das Krisenheer zu stellen. Auch das Bonner Sparpaket trifft Frauen sehr viel stärker.

Christine Bergmann: Das ist richtig. Aber wir sparen durchaus bei Großprojekten: bei den Investitionen, bei der Sanierung und Instandsetzung von Altbauten, bei den Hochschulen und Schulen, im öffentlichen Dienst – das kostet alles Arbeitsplätze, vor allem die von Frauen. Als Arbeitssenatorin finde ich das höchst unerfreulich.

Angelika May: Ich wünsche mir Ihren Schrei in der Stille.

Christine Bergmann: Ich schreie ja auch gerne, aber noch lieber hätte ich damit auch Erfolg. Wir müssen einfach noch deutlicher machen, daß das, was wir finanzieren, für eine Kontinuität und Stabilität der Projekte nicht ausreicht. Wir haben das Problem ja durchaus kommen sehen: zwei Jahre ABM, drei Jahre AFG und dann?

Ute Einicke: Durch unsere Arbeit schaffen wir es doch, Frauen wieder zu integrieren und zu arbeitenden Steuerzahlerinnen zu machen. Wenn diese Projekte alle eingehen, müssen die Frauen staatlich alimentiert werden, die Gelder, die in den Ausbau der Projekte geflossen sind, sind futsch. Was ist denn daran Einsparung? Wir sparen im Haushalt 1996 und schieben die sozialen Folgekosten in die Zukunft.

Damit sind wir beim Thema Kontraproduktivität des Sparens.

Ulrike Kreyssig: Wenn eine Frau bei uns aus der Therapie herausfällt, muß ihr Kind im Heim untergebracht werden. Die Frau geht womöglich wieder auf die Szene, landet irgendwann im Knast. Die Folgekosten sind viel größer! Außerdem: Vieles wird auf dem Papier eingespart, in der Realität aber nur in einen anderen Topf geschoben. Wir sind rausgeflogen aus der Regelfinanzierung und kriegen nun Regelsätze nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz. Bisher hat ein Platz für eine Frau bei uns 120 Mark gekostet, ab 1. September kostet er 170 Mark! Ich frage mich wirklich, ob da irgend jemand nachgedacht hat.

Christine Bergmann: Wir alle kannten unseren Schuldenberg, dazu kamen zusätzliche Steuerausfälle. Aber die bornierte betriebswirtschaftliche Betrachtung ärgert mich auch. Als ob Arbeitslose nichts kosten würden! Wenn das ABM-Niveau zwischen Ost und West jetzt angeglichen wird, fallen zwei Drittel aller Maßnahmen im Osten weg! Und dann wird das als Sparmaßnahme ausgegeben, obwohl jeder ABM-Beschäftigte ein Beitragszahler ist. Man muß sich dazu bekennen, daß man einen breiten öffentlichen Sektor zur Förderung von Arbeit braucht – mit den richtigen Instrumenten, nicht mit ABM, wo nach ein oder zwei Jahren wieder neue Leute eingearbeitet werden müssen. Hier brauchen wir einen Paradigmenwechsel. Aber im Moment wird der öffentlich geförderte Sektor immer weiter verringert, und die Arbeit liegt unerledigt da. Eine sowieso untertariflich bezahlte ABM-Stelle kostet derzeit nicht mehr als das Arbeitslosengeld! Das ist doch verrückt und schizophren, was wir uns hier als Gesellschaft leisten. Ich muß das mal so frustriert sagen. All das können wir auf Landesebene leider nicht regeln. Moderation: Ute Scheub