Den Kult fest im Kalkül

Gegen alle journalistischen Regeln: Nach drei Jahren Pause liegt die neueste Ausgabe des Trendmagazins „Egoiste“ am Kiosk  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Egoiste müßte man sein: Ein unhandliches, schweres Blatt machen; sich von keiner Aktualität beeindrucken lassen, auf den Markt kommen, wann es grad paßt, einen unverschämten Preis verlangen. Und trotzdem in aller Munde und in Null Komma nix vergriffen sein.

Das Pariser Zeitgeistmagazin Egoiste schafft all das. Seit 1977 ist die Din-A-3 große Zeitschrift in unregelmäßigen Abständen 13mal erschienen. Die letzte Nummer erschien 1993, nach einer Pause von vier Jahren. Die lang ersehnte neueste Ausgabe kam letzten Monat heraus: schwarzweiß gedruckt, handgefaltetetes dickes Papier, zweibändig, 270 Seiten und zum Preis von 200 Francs (in Deutschland: 78 Mark) – ist sie Luxus pur.

„Egoist ist, wer nicht an mich denkt“

Neben Fotos, die weltbekannte Fotografen von weltbekannten Persönlichkeiten gemacht haben, enthält sie Porträts, die Prominente über Prominente geschrieben haben, ein paar Essays und an die 100 Seiten meist exklusiv für die Zeitschrift konzipierter Werbung. Wie üblich, war Egoiste, die weder Erscheinungsdatum noch Themen auf dem Titel hat, schon nach wenigen Tagen ausverkauft und als Sammlerstück in den Salons der Pariser Intellektuellen gelandet.

„Ein Egoist ist, wer nicht an mich denkt“ steht wieder über dem Inhaltsverzeichnis. Der Satz von dem 19.-Jahrhundert-Schriftsteller Eugéne Labiche ist das Leitmotiv des Blattes und seiner findigen Chefin und Erfinderin, Nicole Wisniak.

Von Anfang an hat sie große Namen und Gesichter um sich geschart. Ihre Freundin, die Schriftstellerin Françoise Sagan („Bonjour Tristesse“), steuert regelmäßig Literarisches bei. Die Familie Glucksmann – Ehegatten und Sohn – philosophiert, der amerikanische Fotograf Richard Avedon liefert den größten Teil der Bilder. Und wechselnde Schöne aus Film und Werbung lassen sich auf dem Titel und den Innenseiten abbilden.

Furore machte die Nummer 11 im Jahr 1989, in der sich Isabelle Adjani auf 21 Seiten oben ohne von Avedon ablichten ließ. In der neuesten Ausgabe zeigt das aufregendste Avedon-Foto eine bereits auf Greisinnenhöhe geschrumpfte, lächelnde Marguerite Duras, die ziemlich kokett ihr kurzes Röckchen lupft.

Zu den gelegentlichen Mitarbeiterinnen der Wisniak, an deren niedrigen Honoraren sich im Laufe der Jahre nichts geändert hat, gehörte die monegassische Prinzessin Caroline, die während ihrer letzten Schwangerschaft Ava Gardner interviewte. In der neuesten Ausgabe ist es die New Yorker Gesellschaftsdame Diane von Fürstenberg, die voller Sympathie die Schauspielerin Uma Thurman befragt, deren Konterfei auch den Titel schmückt.

Einige Dutzend Seiten weiter wird von Fürstenberg ihrerseits porträtiert. Ein Pariser Intellektueller füllt zwei Seiten mit anerkennenden, wenngleich nicht neuen Geschichten über Daniel Cohn- Bendit, ein Journalist interviewt einen Computer, und Salman Rushdie erörtert Fragen über das Fotografieren. Im Kapitel „Literatur“ enthüllen Intellektuelle ihre Lieblingsmedizin. Und im „Dossier“ haben die Chefs großer Unternehmen ultimative Bewerbungsschreiben aufgesetzt, die garantiert zum Job verhelfen sollen.

Nicht der Inhalt ist bei Egoiste innovativ, sondern Form und Vermarktung. Neben dem großen Format und den vielfach grau nuancierten Fotos, die sich zum Ausschneiden und Aufhängen eignen, sticht vor allem die künstlerisch gestaltete Werbung ins Auge, für die in zahlreichen Fällen Chefin Wisniak persönlich verantwortlich zeichnet. Ihre Ideen hat sie unter anderem an den Mineralwasserhersteller Evian (ein Goldfisch, der aus einem Strohhalm Sprudel trinkt) und an den Autohersteller Renault (ein Mädel, das auf Pumps in Autoform durch Paris rollt) verkauft – zu Preisen, die weit über den marktüblichen liegen.

Viel Geld (die genaue Summe nennt sie nicht) hat Wisniak 1990 auch mit dem Verkauf ihres geschützten Titels Egoiste an den Parfümhersteller Chanel verdient.

Eigenwerbung hat „Egoiste“ nicht nötig

Um das Geschäft für das Männerparfüm zustande zu bringen, köderte sie Karl Lagerfeld mit dem Hinweis, ein anderer Konzern habe bereits sein Interesse angemeldet.

Eigenwerbung hat Egoiste nicht nötig. Anstatt Anzeigen zu schalten, wartet Nicole Wisniak auf die Reaktion der anderen Medien. Und die blieb nicht aus, wann immer sie in den letzten 19 Jahren eine neue Ausgabe lancierte. In großen Artikeln beschreiben und kritisieren Journalisten das Phänomen Egoiste – ein Blatt, das allen bekannten Regeln des Journalismus widerspricht und dabei selbst in Zeiten des Zeitungssterbens einen Erfolg hat, der alle anderen vor Neid erblassen läßt.