Arbeitgeber rudern in verschiedene Richtungen

■ Industrie ist bei der Debatte über den Standort gespalten, DGB freut sich

Berlin (taz) – Beim Streit über den Standort Deutschland bilden sich erstaunliche Koalitionen. Dieter Schulte, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), wußte sich bei seiner gestrigen Kritik am Sparpaket der Bundesregierung mit den Forschern vom Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung auf einer Seite. Keineswegs seien die hohen Lohnkosten in Deutschland der zentrale Nachteil für deutsche Unternehmen, lautet ihre gemeinsame These. Und auch der Chef vom Bund der deutschen Industrie (BDI), Olaf Henkel, hat kürzlich bestritten, daß die hohen Arbeitskosten in Deutschland der Hauptgrund für die Abwanderung von Unternehmen ins Ausland seien.

Die Ifo-Wissenschaftler haben im Auftrag des Wirtschaftsministeriums die Auswirkungen von Löhnen und Steuern auf das „Hochlohnland Deutschland“ untersucht. Fazit: Die Diskussion ist „interessenpolitisch motiviert“.

Arbeiter in Deutschland arbeiten im internationalen Vergleich zwar wenig und das auch noch teuer, schaffen aber viel. „Entscheidend ist nicht, wie lange in einem Land gearbeitet wird und welcher Stundenlohn gezahlt wird, sondern ob die Entlohnung eines Arbeiters in angemessener Relation zu seiner Leistung steht“, schreiben die Forscher.

Arbeiter in Großbritannien, Frankreich, Japan oder den USA malochen zwar durchschnittlich 3,6 Stunden mehr in der Woche. Auch müssen Arbeitgeber in den Ländern nur die Hälfte bis Zweidrittel des deutschen Lohns zahlen. Dennoch: „Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene sind die realen Lohnstückkosten (in Deutschland) weder übermäßig hoch, noch sind sie in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich stark gestiegen“, heißt es in dem Ifo-Gutachten. Im Gegenteil: Die gute Entwicklung der Arbeitsproduktivität hat die Lohnerhöhungen hierzulande sogar überkompensiert. Daß die nominalen Lohnstückkosten von deutschen Produkten zugenommen haben, sei kein Arbeitskostenproblem, „sondern die unvermeidbare Konsequenz der Aufwertung der D-Mark“, haben die Ifo-Forscher ausgerechnet.

Diese Meinung vertritt im Grunde auch BDI-Chef Henkel. Schuld an deutschen Wettbewerbsnachteilen seien zu zwei Drittel die starke Mark in Folge des „Währungsschocks“ nach der Wiedervereinigung, verkündete er letzte Woche. „Berechnungen zufolge sind seit 1989 nur etwa ein Drittel der Verteuerung der Lohnstückkosten hausgemacht.“ Vor allem die zu teure Mark treibe Unternehmen ins Ausland. „Das ist ein Schuß in den Ofen“, wetterte dagegen gestern Peter Blume, Sprecher der industriellen Mittelstandsvereinigung beim deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT). Löhne, zu kurze Arbeitszeiten und extrem hohe Soziallasten würden Unternehmer schröpfen und viele zur Aufgabe zwingen.

DIHT-Präsident Hans-Peter Stiehl fordert eine Rückkehr zur 40-Stundenwoche und kritisiert, die Ifo-Studie gehe von falschen Voraussetzungen aus. Die Forscher hätten nur die Arbeitskosten der Industrie, nicht aber die von Dienstleistung und Handel miteinander verglichen. Außerdem seien nur „traditionelle Industrieländer“ untersucht worden. „Das geht an der Realität der modernen, globalisierten Wirtschaftswelt vorbei: Unternehemen stellen heute weltweit Vergleiche an.“

Auch die US-Handelskammer in Frankfurt meldete sich gestern in diesem Sinne zu Wort: Eine interne Untersuchung habe die Lohnkosten verschiedener US- Firmen verglichen, die in den Benelux-Staaten, Frankreich, Großbritannien und Deutschland ähnliche Produkte herstellten. Die Lohnzusatzkosten in Deutschland seien eindeutig zu hoch.

„Wir fühlen uns durch die Ifo- Studie voll bestätigt“, sagt dagegen Hartmut Görgens, Wirtschaftsreferent beim DGB. „Überragendes Hauptmotiv für Investitionen im Ausland ist die Markterschließung und -erhaltung.“ Das zeige auch ein Blick auf Löhne und Gewinne: Die Nettogewinne deutscher Unternehmen sind in den vergangenen 15 Jahren um 116 Prozent gestiegen, die Nettolöhne nur um 6 Prozent. Ulrike Fokken

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