Repression begünstigt Frauenhandel

Sextourismus, Prostitution und Frauenhandel entlang der deutschen Ostgrenze haben rapide zugenommen. Sozialprojekte kritisieren den Kurs der Behörden  ■ Aus Regensburg Bernd Siegler

Katyana ist 21 Jahre alt. Sie lebt im polnischen Varna, hat als Friseuse gelernt, fand jedoch keine Arbeit. Ein Freund erzählt ihr von einem Job in einem „Club“ in Deutschland, „in der Küche oder so“. Katyana ist interessiert. Schon zwei Tage später steht der Freund mit zwei anderen Männern und einem großen Auto vor der Tür. Katyana verabschiedet sich und fährt mit den beiden ihr fremden Männern los. In einem Hotel in Polen wird Katyana zu Nacktfotos gezwungen und danach vergewaltigt. Die Männer bringen sie schließlich nach Frankfurt/Oder und sperren sie in ein Bordell ein. Katyana will weg. Doch sie hat den Männern ihren Paß gegeben, wird mit den Fotos erpreßt und geschlagen.

Katyana ist ein Fall von vielen. Nach dem aktuellen Lagebericht des Bundeskriminalamtes (BKA) wurden 1995 bundesweit 522 Fälle von Menschenhandel registriert. Die 1.753 Opfer, die die amtliche Statistik zählt, bedeuten im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um 70 Prozent. Nicht nur Prostitution und Sextourismus haben entlang der deutschen Ostgrenze rapide zugenommen, sondern auch der Frauenhandel. Ein Fünftel der 50.000 aus Osteuropa stammenden Prostituierten wird laut BKA gegen ihren Willen zur Prostitution gezwungen.

Während sich Bayerns Sozialministerin Barbara Stamm im letzten Landtagswahlkampf mit einer Aktion an der tschechischen Grenze um das Wohl der Freier sorgte, stellt Elisabeth Köhler, bayerische Landtagsabgeordnete der Bündnisgrünen, die Frauen in den Mittelpunkt eines Hearings in Regensburg. Zur Zeit wird der überwiegende Teil der Opfer wegen ihres illegalen Aufenthaltsstatus abgeschoben, in Bayern in der Regel schon zwei Tage nach der Vernehmung. Weniger als zwei Prozent kommen in ein Zeugenschutzprogramm. Diese repressive Politik schafft günstige Bedingungen für die Frauenhändler. „Die betroffenen Frauen landen in ihrer Heimat geradewegs wieder in den Armen ihrer Händler und die Verfahren gegen die Täter müssen angesichts fehlender Zeuginnen oft eingestellt werden“, beklagt Köhler. Angesichts der wenigen legalen Migrationsmöglichkeiten machen sich die Frauen bereits in ihrer Heimat von Anwerbern abhängig und geraten dabei „oft in eine Situation extremer Abhängigkeit und Erpreßbarkeit.“

Wie Katyana. Sie hatte allerdings das Glück, daß Mitarbeiterinnen von „Belladonna“ in Frankfurt/Oder auf sie aufmerksam wurden. „Belladonna“, das ist eines von sechs Modellprojekten zur Aidsprävention im grenzüberschreitenden Raum. Das Projekt holte Katyana von der Straße und übermittelte sie an „La Strada“ in Warschau. Stana Buchowska, Koordinatorin dieses seit Herbst letzten Jahres in Polen arbeitenden Präventionsprojekts zum Frauenhandel, verschaffte Katyana einen neuen Paß und damit den ersten Schritt aus dem Teufelskreis.

„Frauenhandel ist oft unsichtbar, die Opfer werden von den Tätern versteckt und wenn sie doch wieder nach Hause kommen, schweigen sie aus Furcht und Scham“, umreißt die polnische Sozialarbeiterin das Problem. Deshalb will „La Strada“ die Öffentlichkeit sensibilisieren und vor allem im Vorfeld über falsche Arbeitsangebote aufklären. „Viele, die in den Westen gehen, fallen auf Zeitungsinserate herein, die Jobs wie Babysitting, Hausmädchen oder Krankenschwester versprechen“, betont Buchowska. Die Opfer, meist junge Frauen aus ländlichen Gegenden, melden sich dann bei der Hotline von „La Strada“.

In Tschechien gibt es weder eine Hotline noch eine Beratungstelle für Frauen, die zurückkehren oder abgeschoben werden. Der Straßenstrich an der E55 hat zwar abgenommen, und Kommunen wie Cheb und Sokolov haben Sperrbezirke ausgewiesen, doch damit hat sich das Problem nur in Nachtclubs, Erotikcenter oder Hotels verlagert. Bärbel Butterweck, Mitarbeiterin des Beratungszentrums „Pro Fem“ in Prag, will daher auch in Tschechien ein „La Strada“- Projekt aufbauen. Auch sie greift die repressive Praxis der deutschen Behörden an: „Je illegaler der Status einer Prostituierten, desto höher die Profite der Zuhälter.“