Eine Entstopfen der Ohren durch Geräusche

■ Spritzenhaus: Heinz Weber transportiert Elb-Klänge zur Kunst

Visualisierung ist ein zeittypisches Stichwort, dem Hörensagen trauen wir kaum noch. Zudem hat es geradezu eine Schutzfunktion, daß der lärmgeplagte Großstädter Geräusche nur reduziert wahrnimmt. Doch zumindest ein Ort in Hamburg bleibt ein Bollwerk gegen den Verlust der Hörwelt: Das Spritzenhaus in Ottensen.

Dort bietet Heinz Weber am Wochenende die Möglichkeit eines akustischen Ausflugs zum Ponton Blankenese. Dort, auf dem „Bull'n“, wie die Einheimischen sagen, hat der Hamburger Tonkünstler immer wieder Geräusche eingefangen, zuletzt beim Gewitter in der vergangenen Dienstagnacht. Von vier halbstündigen Bändern sind Wasserglucksen und Pontonquietschen, Flugzeuge und Schiffe, Menschen und Vögel zu hören.

Ganz automatisch wird das, was da aus dem Kopfhörer quillt, verbildlicht. Nicht nur, daß sich dafür die Bezeichnung HörBILD eingebürgert hat, alles WiederERKENNEN ist bereits eine Interpretation des Geräuschmaterials. Die Illusion eines Erinnerungsbildes ist beim Hören übermächtig. Es ist sehr schwer, zu einem „reinen Hören“ zu animieren, wo Schallvorgänge ohne Assoziationen wahrgenommen werden.

„Das vorschnelle Wiedererkennen auf einen Handlungszusammenhang hin finde ich eher störend“, sagt Heinz Weber, „es verhindert das aktive Hören und verstopft das Ohr von innen.“

Auch wenn Heinz Weber in früheren Arbeiten, wie dem im Frühjahr aufgeführten „Tram S Atlantik“ sich mit den Problemen der Übertragbarkeit von Geräuschen befaßt hat, „Ponton Blankenese“ funktioniert auch ohne komplizierte Theorie: Es ist mehr ein Angebot im Sinne Murray Schafers. Der Kanadier begann Anfang der Siebziger Jahre im „World Soundscape Projekt“ mit weltweiten Klangerhebungen zu einem Klangmuseum.

Für Heinz Weber sind die Töne vom Elbanleger Vorstufe eines nächsten Vorhabens. Ausgehend von den zahlreichen Brücken dieser Stadt arbeitet er an einer kom-plexen Hamburger Tonlandschaft.

Doch mit akustischer Abstraktion ist allein noch kein Ausstel-lungsraum zu füllen. Im Spritzenhaus ist das jetzige Hörbild zweifach gestaltet. Eine Endlosschlaufe in Ohrenhöhe grenzt einen imaginären Ponton aus, ein Spiel, das mit den langsam veraltenden, analogen Tonträgermaterialien immerhin noch möglich ist.

Zudem wird der Zugang zum Hörstoff durch die genauen Diagramme erleichtert, die die Sound-intensität in dB nach dem Pegelausschlag notieren und besondere Ereignisse mit Pictogrammen hervorheben. Das gibt nicht nur optische Orientierung für längeres Hören, es nutzt auch beim Navigieren am Mischpult. Denn die Kunst wird hier nicht einseitig produziert und dann wie ein Stein ins Meer der Szene geworfen: Hier kann sich jeder Besucher für fünf Mark Materialkosten sein eigenes Master-Mix der acht Tonspuren abmischen und mitnehmen. Hajo Schiff

Spritzenhaus, Spritzenplatz 12 (Hinterhaus), nur diesen Freitag, 19-21, Sa+So, 16-20 Uhr