Danke schön!

Der „politische“ Film zum Kunstwerk: Das Dokudram „Dem Deutschen Volke“ soll die Atmosphäre des Verpackungs-Woodstocks von Christo und Jeanne-Claude in die Kinos bringen  ■ Von Kolja Mensing

Eigentlich wäre der Platz der Republik das ideale Gelände für ein Freiluftkino. Doch auf der unaufgeräumten Bundesbau- und Schaustelle ist weder Platz für eine Leinwand noch für das Publikum. Ihren Dokumentarfilm über die Verhüllung des Reichstags im vergangenen Jahr müssen Wolfram und Jörg Daniel Hissen daher in der Waldbühne zeigen. „Dem Deutschen Volke“ läuft dort am 30. August, als letzter Film der Open-air- Reihe. Und wenn der Rasen des Konzertstadions vielleicht nicht unbedingt den Geist moderner Kunst atmet: Zumindest ist er durch Neil-Young-Fans und Blues-Brothers-Fetischisten bereits für picknicktauglich erklärt worden. Keine schlechte Voraussetzung, um die Atmosphäre des Verpackungs-Woodstocks für einen Abend wiederzuerwecken.

Fotos oder gar bewegte Bilder vom verhüllten Reichstag besitzen Seltenheitswert. Die Anwälte von Jeanne-Claude und Christo achteten in den vergangenen zwölf Monaten streng auf die Einhaltung des Urheberrechts. Niemand darf mit Postkarten oder Abbildungen des Kunstwerkes ohne Genehmigung Geld verdienen. Der Verkauf signierter Collagen und Zeichnungen Christos soll allein die Finanzierung des Projektes sichern. Im Mai diesen Jahres hatte das Kammergericht noch einmal die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens bestätigt: Da Jeanne-Claude und Christo vorab die Existenz ihres Werkes zeitlich begrenzten, handle es sich nicht um ein „bleibendes Kunstwerk“. Damit, so will es Paragraph 59 des Urheberrechtsgesetzes, stehen die Verwertungsrechte allein den Künstlern zu.

Die Gebrüder Hissen, die zusammen die Produktionsfirma „Estwest“ gegründet haben, sind die Ausnahmen dieser strikten Regel. Sie haben die filmischen Nutzungsrechte bekommen – und dürfen sogar Geld damit machen. „Wir haben die Christos 1985 während der Verhüllung des Pont Neuf in Paris kennengelernt“, erzählt Jörg Daniel Hissen. 1991 begann die filmische Begleitung der Vorbereitungen zur Reichstagsverhüllung: die Reisen nach Deutschland, die Überzeugungsarbeit bei zögernden Parlamentsvertretern, schließlich die Herstellung der Verpackungsmaterialien. Auch die legendäre Bundestagsdebatte vom 25. Februar 1995, in der sich die Hausherren des Reichstags schließlich für das Projekt aussprachen, ist im Film zu sehen.

Material aus dem Archiv des bisherigen Christo-Hausfilmers Albert Maysles ergänzt die Dokumentation der Vorbereitungsphase, die bis in die 70er Jahre zurückreicht. Man sieht Jeanne- Claude und Christo an der Mauer oder Willy Brandt, der die Künstler in ihrem Atelier besucht. Als das Genehmigungsverfahren in Deutschland wieder einmal ins Stocken geraten war, war der Ex- bundeskanzler nach New York gereist, um den Verpackern Mut zuzusprechen.

Ausführlich widmet sich der Film, der im 35-mm-Format gedreht wurde und im Herbst in die deutschen Kinos kommen soll, der eigentlichen Verhüllung. Steady- Cam-Fahrten und schwelgerische Einstellungen illustrieren die Kunstparty im Juni und Juli letzten Jahres. Konsequent verzichten die Regisseure auf einen kommentierenden Text und lassen die Bilder für sich sprechen. Die Grenzen zwischen Doku und Drama verwischen allerdings: „Die Christos haben lange Medienerfahrung. Sie wissen, wie man sich vor der Kamera in Szene setzt und werden stellenweise zu Hauptdarstellern eines Spielfilms.“ Jeanne-Claude und Christo werden bei der Uraufführung, die die Waldbühnen-Veranstalter kurzerhand zur „Danke- schön-Feier“ Berlins erklärt haben, dabeisein.

Wolfram und Jörg Daniel Hissen sehen sich als unabhängige Künstler. Trotzdem machen die Filmemacher, die vier Jahre intensiv an ihrer Produktion gearbeitet haben, kein Geheimnis daraus, daß sie bedingungslos hinter dem Projekt „Verhüllter Reichstag“ stehen. Die kritische Stoßrichtung des Dokumentarstreifens „Christo und Jeanne-Claude. Dem deutschen Volke: Verhüllter Reichstag 1971–95“ – so der vollständige Titel – ist daher eingeschränkt: Sie zielt auf die Widrigkeiten, denen die porträtierten Künstler bei der Arbeit ausgesetzt waren.

Jörg Daniel Hissen über seinen „politischen Film“: „Wir wollten zum Beispiel die Haltung der deutschen Parlamentarier dokumentieren. Die haben sich schon vorab angemaßt, darüber zu entscheiden, wie die Menschen in Berlin auf das Kunstwerk reagieren würden.“ Auch der ausufernde Souvenir- rummel paßte den Hissens nicht – Kritik, die leicht von der Hand geht. Schließlich waren die Filmer selbst mit der alleinigen Lizenz zum Bild ausgestattet.

Die Brüder Hissen wehren sich gegen den Vorwurf der Hofberichterstattung: „Wir sind nicht bei den Christos angestellt oder bekommen Geld von ihnen.“ Allerdings gab es die Bedingung, daß das Ehepaar den Film vor der Uraufführung abnicken mußte. Die Filmemacher sehen darin keine Gefahr für ihre Unabhängigkeit: „Jeanne-Claude und Christo haben zwei oder drei Änderungsvorschläge geäußert, die den Film auch besser gemacht haben.“