"Kontrolle findet nicht statt"

■ Thomas Kleist, Chef der Medienanstalten über die Einführung des Digital-TV: Das Oligopol Bertelsmann/Kirch "kann eines Tages in ein Monopol münden"

taz: Das Rennen um das digitale Fernsehen beginnt. Täglich werden Fusionen, Allianzen und Megadeals verkündet – besonders seit die Ministerpräsidenten Anfang des Monats über das künftige Medienrecht entschieden haben. Was kann das neue Recht im digitalen Milliardenmarkt bewirken?

Kleist: Man hat in den Staatsverträgen nur die Fragen von gestern geregelt und die Zukunftsfragen außen vor gelassen. Die „Digitale Revolution“ findet auf der Grundlage landesrechtlicher Experimentierklauseln statt, so daß sich hier wie gehabt Standortpolitik letztlich durchsetzt.

Konzentrationsentwicklung verlagert sich nun noch mehr vom Programmveranstalter zum Programmbesitzer. Reicht eine Kontrolle, die nur den Marktanteil der Veranstalter begrenzt?

Das digitale Zeitalter braucht spezifische Antworten. Das ordnungspolitische Handwerkszeug ist jetzt nicht bundeseinheitlich angepaßt worden, und dadurch können nicht mehr rückholbare Tatsachen geschaffen werden.

Was können Sie jetzt noch tun?

Weil die gesetzliche Grundlage fehlt, haben wir Medienanstalten Eckwerte für das Digitalfernsehen formuliert, die aber erst einmal unverbindlich sind. Grundforderungen sind ein chancengleicher Zugang zum Digital-TV und die Bedienungsfreundlichkeit für die ZuschauerInnen. Auch ein Navigationssystem, das über alle Programme informiert, ist wichtig. Die Medienanstalten haben verabredet, diese Eckwerte bei der Zulassung von Digital-TV zur Bedingung zu machen. So konnten wir z. B. Kirch und Bertelsmann letztlich dazu zwingen, sich auf ein Decodersystem zu verständigen, das den Zugang zum gesamten Angebot im Digital-TV sichert.

Die Umwälzungen erfassen auch den „klassischen“ Fernsehmarkt. Kann das Instrumentarium, das Ihnen mit den neuen Rundfunkstaatsverträgen zur Verfügung steht, mit der Dynamik noch mithalten?

Während die Unternehmen auf die neue Freiheit reagieren, haben die Ministerpräsidenten mit einem hochkomplizierten Regelwerk nur den Status quo abgesegnet.

Und der ist bedenklich?

Wir befinden uns bereits in einem hochkonzentrierten Medienmarkt. Privater Rundfunk hat seine Legitimation ursprünglich aus dem Gedanken des Wettbewerbs und der Vielfalt abgeleitet. Nun bewegen wir uns in die Gegenrichtung. Jetzt haben wir nur noch die Zweifaltigkeit aus den Konzernen Bertelsmann und Kirch, und das hat die Politik abgesegnet. Man hat uns Medienanstalten immer vorgeworfen, wir hätten der Konzentration nicht scharf genug Einhalt geboten. Nun zeigt sich, daß das von der Politik gar nicht gewollt war.

Klar ist, daß die deregulierenden Elemente der neuen Regeln zügig umgesetzt werden – CLT und Ufa machen's schon vor. Was ist mit den regulierenden Teilen?

Eines der positiven Elemente ist die Abgabepflicht für Sendezeit an „unabhängige Dritte“. Die ist den Veranstaltern ein Dorn im Auge, und darum wird noch immer heftig an der Schraube gedreht. Der Teufel steckt jetzt im Detail der schriftlichen Umsetzung des Rundfunkstaatsvertrags. Von der wird es abhängen, ob diese Regelung eine echte Vielfaltssicherung ist. Dazu gehört ein Auswahlverfahren mit klaren Spielregeln, die sichern, daß der Ausgesuchte nicht am Ende wieder mit dem Veranstalter in Verbindung steht. Wir haben immer eine standortunabhängige Prüfung gefordert, weil bisher Standortüberlegungen die Ordnungspolitik häufig dominiert haben. Die Einsetzung einer Konzentrationsermittlungs-Kommission (KEK) hätte das erfüllen können. Doch nun soll die KEK nur noch als Organ der „zuständigen Landesmedienanstalt“ tätig werden und deren Mitglieder auch noch die Ministerpräsidenten selbst bestimmen. So werden Scheibchen für Scheibchen eine Reihe positiver Ansätze aufgeweicht.

Könnte die Tatsache, daß bei 30 Prozent Marktanteil vorherrschende Meinungsmacht nur „widerlegbar“ angenommen wird, zu Rechtsstreitigkeiten führen?

Die Vergangenheit hat gezeigt: Je komplizierter die Vorschriften und je größer die Interpretationsspielräume, desto schwieriger ist die Umsetzung. Die Medienkontrolle ist dann immer im Nachteil. Ich hatte gehofft, daß mit der Neufassung auch die Vorschriften einfacher werden. Aber sie sind nun so kompliziert, daß sie in der Praxis kaum umsetzbar sein werden. Medienkonzentrationskontrolle wird faktisch nicht mehr stattfinden.

Wird also bestehende Konzentration nicht mehr begrenzt werden können, auch wenn sich vorherrschende Meinungsmacht entwickelt, die die Verfassungsrichter ja als verfassungswidrig bewerten?

Den nun akzeptierten Zustand, daß zwei Konzerne das Mediengeschäft beherrschen, würde ich noch nicht als verfassungswidrig bezeichnen, solange man ihn noch mit wirksamen vielfaltssichernden Maßnahmen – wie der Sendezeitabgabe an Dritte – begrenzt. Man muß aber auf latente Gefahren hinweisen, die in diesem Zustand eines Oligopols liegen, das ja eines Tages sogar in ein Monopol einmünden könnte. Da hat das Verfassungsgericht tatsächlich stets gefordert, daß man frühzeitig Grenzen setzt. Denn Entwicklungen, die sich einmal eingeschliffen haben, kann man kaum mehr zurückdrehen, einmal verfestigte Konzentrationen kann man nicht mehr entflechten.

Was kann die Klausel bewirken, die die Machtstellung der Unternehmen in medienverwandten Märkten in die Bewertung ihrer Marktstellung einschließt?

Der Medienmarkt spielt sich ja nicht mehr nur auf der Programmebene ab. Darum haben wir gefordert, unter anderem die Märkte der Programmzulieferung und der Übertragungsrechte zu berücksichtigen. Was nun aufgenommen wurde, ist so vage formuliert, daß die KEK es schwer haben wird, diese Machtstellungen in die Vielfaltsbewertung jemals einzubeziehen. Das gilt auch für die Angehörigenklausel, mit der man etwa auf das Zusammenwirken von Leo und Thomas Kirch reagieren wollte, das in der Praxis aber kaum kann. Interview: Lutz Meier