Gewöhnung

Da liest man immer wieder inne Zeitung' und Zeitschriften, daß sich de Zivis beklagen über de frustierende Tätigkeiten bei de Altenpflege und besonders bei de ambulanten Pflegedienste. Wo se kranke und störrische Alte in' Minutentakt trockenlegen, waschen, füttern und wieder anne Betten festbinden müssen. „Was ich da erlebt hab an Leiden und Elend, das ist so grauenvoll, daß ich das gar nicht beschreiben kann. Und war ich für diese extreme Pflege noch nicht einmal ausgebildet“, hat der eine junge Mann in sein Berichtsheft geschrieben. Und er will das Handtuch schmeißen und sich bei 'ne Ranger-Abteilung vonne Bundeswehr bewerben. Und so'n Krisen-Einsatz in Bosnien ist, verglichen mit den ambulanten Pflegedienst, das reinste Zuckerschlecken. Ja, und damit sich dieser Trend nicht weiter ausbreitet, denn wo soll der Staat all die Krankenschwestern und Altenpfleger hernehm', die dann auch noch tarifgemäß bezahlt werden wolln? Die kann er sich doch nicht ausse Rippen schneiden!

Und darum gibt das nu diese neue staatliche Iniziative, die de irrazionale Ängste und den Abscheu vor de Altenpflege, ob nu in ein' Heim oder zu Hause, abbaun soll. Und ist das Programm hochwissenschaftlich angelegt. Daß man nämlich in kleine Schritte und ganz allmählich lernt, diese Ängste in' Griff zu kriegen. Also: Wie bei de psüchologische Verhaltenstherapie oder, auf gut deutsch gesagt: Der Mensch gewöhnt sich an alles, wenn diese Gewöhnung allmählich kommt und nicht so auf hau ruck. Das löst nämlich bei sensible Leute ein' Schock aus. Also, fängt das Programm damit an, daß man ein normales Heim besucht mit bettlägerige Seniorn, wo man sich zuerst mal in aller Ruhe das Gebäude von draußen anguckt. Der nächste Schritt ist nu, daß man richtig reingeht, zuerst mal bloß in den Flur, damit man sich an den Geruch gewöhnt. Dann kommt, daß man de Tür von ein' Pflegezimmer richtig aufmacht. Wenn in diesen Raum mehr als 10 Alzheimer-Patienten liegen, bleibt man natürlich im Türrahmen stehn. Weil das ja gefährlich ist, auch wenn de Leute an ihre Betten gefesselt sind. Der nächste Lernschritt ist, daß man bei'n Füttern zugucken darf, wo manchmal nur noch ein Klaps hilft, wenn de Seniorn den Mund nicht aufmachen wolln aus lauter Schikane. Daß man denn mit den Stiel von' Eßlöffel de Kiefer auseinander... Zun Schluß, so als Höhepunkt, darf man denn de durchgelegene Stelln verbinden. Oder bei ein' Ambulanten: den Schiet zwischen de Zehen rauspuhln. Du siehst also: die volle Härte!

Als Abschluß von diesen Lehrgang darf man denn selber schon mal

de Seniorn anbrülln oder ihn' ein' Klaps geben. Und bringt ein'

diese Ausbildung dazu, daß man sich anne moderne Altenpflege

gewöhnt, so daß man diese irrazionale Ängste nicht mehr hat, wenn

man selber alt wird und inne Verlegenheit kommt, gepflegt zu werden.