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Regenbogen vs. Taschenlampen

■ Die Gruppe „Kryptische Konzepte“ sucht Ausstellungs- räume. Das Bezirksamt Mitte offeriert ein besetztes Haus

Auf der einen Seite rauscht der Verkehr, auf der anderen auch: Die Littenstraße im Bezirk Mitte, zwischen Stralauer und Grunerstraße gelegen, sucht man nicht. Man findet sie. Außer dem Gefühl, von Gott und der Welt verlassen zu sein, hat die Gegend nicht viel zu bieten: Das protzige Stadtgericht, eine überdimensionierte Feuerwache, ein Parkplatz und ein paar niedrige Baracken – mehr ist hier nicht.

Genau der richtige Ort für eine Aktion, dachte sich die Berliner Künstlergruppe Kryptische Konzepte. In den zwischen Gericht und Feuerwache gelegenen Flachbauten wollten sie ihr Projekt „Nachtraum“ realisieren. Eine Kunstausstellung im Dunklen, für die man, statt eine Eintrittskarte zu lösen, eine Taschenlampe kauft: Rund 50 junge KünstlerInnen aus der ganzen Bundesrepublik sollten die Räume, in denen zu DDR-Zeiten die Bereitschaftspolizei untergebracht war, in ein Labyrinth verwandeln. Eine Ausstellung, die, so die VeranstalterInnen, „keine Abstände, keine Richtungen“, sondern nur „die Dimension der Tiefe“ kennt.

Indes, eine Woche vor der geplanten Unterzeichnung des Mietvertrages mit dem Eigentümer des Geländes, dem Land Berlin, vertreten durch das Grundstücksamt des Bezirks Mitte, wurde den AusstellungsmacherInnen ein Strich durch die Rechnung gemacht. Die KünstlerInnen, die der Einladung von Kryptische Konzepte gefolgt waren, hatten bereits detaillierte Pläne vorgelegt, da besetzte, am 19. Juni, eine Gruppe wohnungsloser Punks das verwilderte Areal.

Sie tauften eine der Baracken auf den Namen „Villa Domino“ und hängten eine Fahne mit den Farben des Regenbogens auf. Mit dem Projekt „Nachtraum“ war es damit vorerst einmal vorbei. Noch in derselben Nacht nahm die Polizei die Personalien der Besetzer auf und informierte am nächsten Tag das Grundstücksamt Mitte.

Verhandlungen begannen, SozialarbeiterInnen von der Treberhilfe wurden eingeschaltet, die KünstlerInnengruppe bot den BesetzerInnen an, sich an der Ausstellung zu beteiligen. Umsonst, die neuen BewohnerInnen hatten mit Kunst nicht viel am Hut. Sie wollen ihre Ruhe. „Wer Streß macht, fliegt raus“, steht auf einem handgemalten Schild am Eingangstor. Die Drohung gilt für alle: Die BesetzerInnen haben angekündigt, ihr neues Zuhause notfalls mit Gewalt zu verteidigen.

Bei den BeamtInnen des Grundstücksamts machte sich Ratlosigkeit breit. Für Thomas Kaiser, Michaela Lechner und Carl Peter, die Mitglieder von Kryptische Konzepte, war die Sache jedoch klar. Da die Ausstellung nur noch nach einer polizeilichen Räumung des Geländes hätte stattfinden können, wurden die Entwürfe für Nachtraum auf Eis gelegt.

Das Grundstücksamt Mitte war seinerseits zu keinen Zugeständnissen an die BesetzerInnen bereit. Die Obdachlosen hatten vom Bezirk die Garantie gefordert, nach der auf einen Monat veranschlagten Ausstellung wieder in die Baracken ziehen zu können. Darauf mochten die BeamtInnen nicht eingehen. Im Gegenteil: Vor zehn Tagen erneuerten sie ihr Mietangebot für die Räumlichkeiten, in denen im vergangenen Jahr schon einmal eine Kunstausstellung stattgefunden hatte. Mit anderen Worten: Das Gelände wäre nun doch geräumt worden.

Die OrganisatorInnen reagierten auf die neuerliche Offerte mit „großer Überraschung“. Sie blieben dabei: Wegen der Ausstellung sollten die BesetzerInnen nicht vertrieben werden. Mittlerweile suchen die Leute von Kryptische Konzepte nach neuen Räumen, um die Ausstellung dort zu veranstalten.

Die ganze Geschichte hat bei den KünstlerInnen gemischte Gefühle hinterlassen: Einerseits befürchten sie, die Punks könnten sie für eine eventuell doch stattfindende Räumung verantwortlich machen. Andererseits bleibt ihnen momentan nur die Gewißheit, ein halbes Jahr umsonst gearbeitet zu haben. Ulrich Clewing

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