Amerikanische Aussicht
: Verzwicktes Ungetüm mit spartanischem Charme

■ Typisches Projekt von Erwachsenen: Das Schindler House in Los Angeles, eine luxuriöse Baracke der Avantgarde

Am Schindler House fährt man glatt vorbei, weil es von der Straße aus nicht zu sehen ist. Die Einfahrt zur 835 North Kings Road in West Hollywood besteht aus hellen Kieselsteinen, ist schmal und endet vor einem Büro, dessen Innenleben inklusive der auf Schreibtische gefläzten Katzen sofort einsehbar ist. Von hier aus wird das Schindler House verwaltet, ein Architekturdenkmal, ein fast komplett zu besichtigendes Bürgerhaus im Raum Los Angeles.

Andererseits ist es nicht wirklich ein Haus, eher eine Assemblage von Ateliers, insgesamt vier Betoncontainern mit offenen Fenster- und Schiebetürfronten zu den Gärten und Terrassen hin. Man kann den Grundriß des Haupthauses so simpel beschreiben, daß „es zwei miteinander gegenläufig gekoppelte Ls sind, die zusammen ein S ergeben“ – dennoch ist der Effekt labyrinthisch. Schwere Holzträger sind quer über die Decken montiert; wer einsneunzig groß ist, muß den Kopf einziehen. Da keine Möbel mehr da sind, kann man unmöglich raten, wie die Räume genutzt worden sind. Es gibt keine Heizanlage. Ein Unbehagen erfaßt den Besucher. Vielleicht liegt es daran, daß manche Wandabschnitte dieses Hauses aus Preßpappe gemacht sind. Früher, heißt es, waren sie aus Zuckerrohr.

Rudolf Michael Schindler, 1887 in Wien geboren, folgte 1914 dem Ruf einer Architekturfirma in Chicago, wechselte nach drei Jahren in das Büro des innovativen Architekten Frank Lloyd Wright, kam im Dezember 1920 in Los Angeles an und kehrte nie mehr nach Europa zurück. Das erste Haus, dessen alleiniger Architekt er war, ist das verzwickte Ungetüm mit dem spartanischen Charme an der Kings Road. Als die Pläne im Winter 1921/22 gezeichnet wurden, sollte es ein Haus für zwei Ehepaare sein, die Schindlers und die Chaces. Bei Baubeginn waren beide Frauen schwanger, und man bemerkte das Fehlen von Kinderzimmern im Entwurf.

Überhaupt ist es ein typisches Projekt von Erwachsenen, die beschlossen haben, alles ganz anders zu machen. Wozu ein Wohnzimmer, wenn man Parties mit achtzig oder hundert Gästen macht? Wieso Schlafzimmer, wenn es doch diese gemütlichen „Schlafkörbe“ auf dem Dach gibt? Und wieso Küchen, wo die Frauen doch ohnehin am liebsten auf dem Boden hocken und biodynamische Gerichte im Kaminfeuer brutzeln?

Im Schindler/Chace-Haus wurden Ideen verflochten, deren Strickmuster die Konflikte von Politik und Kultur, einfachen Weisen und komplexen Ansprüchen in nuce enthält. Man hielt Kontakte zur jungen UdSSR, ließ im Terrassengarten die Avantgarde tanzen und gründete, so nebenbei, eine freie Schule. Die erste bittere Erfahrung mit einem alternativen Gedanken: die Universitätsfreundschaft der Ehefrauen war nicht verlängerbar in den gemeinsamen Haushalt. Nach zwei Jahren zogen die Chaces aus.

Dann kamen die Neutras aus Wien, angeschlagen vom Krieg, und zogen ein. Die Büro- und Hausgemeinschaft der Architekten Schindler/Neutra dauerte etwas länger, aber ihre radikale Moderne war dann doch nicht dieselbe. Schindler baute in und um L.A. noch 29 Häuser sowie die Bethlehem Baptist Church in South Central (4900 South Compton Avenue), aber bekam nie Aufträge für Bürogebäude und Museen – wie van der Rohe und Wright.

Der einzige, der bis zu seinem Tod (im Jahr 1953) aus der 835 Kings Road nicht mehr auszog, war Rudolf Schindler selbst. Seine Ehefrau kam nach einigen Jahren der Abwesenheit zurück und reklamierte eine Hälfte des Hauses für sich. So lebten sie im erdnahen Zickzack-Loft das Leben von Geschiedenen und verkehrten, sofern es unbedingt notwendig war, schriftlich.

Ihre Anfrage im Jahr 1949, für den Anstrich des Hauses eine Farbe auszusuchen, beantwortete Rudolf an Pauline so: „Madam, (...) Kings Road ist als Verbindung ehrlicher Materialien entworfen worden, Beton–Redwood–Glas, die unverändert bleiben sollten, um die innere Struktur zu offenbaren und ihre natürliche Farbe.“ Bis 1977, als Pauline starb, hatte sie aber genug Zeit, das gesamte Holz in Pink zu tauchen. Sie verehrte die Architektur ihres Mannes auf ihre eigene Weise.

Die Stiftung, die die Schindler- Familie teils auszahlte und teils von ihr beschenkt wurde, tat ihr Bestes, um den Bau in seinen originalen Zustand rückzuverwandeln. Es hat allerdings den Anschein, daß der Flügel, in dem einst Rudolf Schindlers eigenes Atelier war, im Fundament etwas nachgegeben hat. Das Ganze macht den Eindruck einer luxuriösen Baracke, ein seltenes Paradox.

Das Innenleben füllt die Stiftung, seit zwei Jahren in Kooperation mit dem Museum für Angewandte Kunst in Wien, mit diversen Ausstellungen zur zeitgenössischen Architektur, wofür das Schindler House aber nur bedingt geeignet ist. Es atmet die Melancholie eines Lebensentwurfs, der an vielen Ecken und Enden der Welt erfolgreich war, nur nicht auf der Kings Road; nicht wirklich. Ulf Erdmann Ziegler

Schindler House, 835 N. Kings Road, West Hollywood, CA 90069. Telefon: 001 213 651-1510, Fax: 651-2340. Mi. bis So., 11 bis 18 Uhr

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