Die Revolution besingen und bereden

Rund 4.500 JungsozialistInnen aus aller Welt diskutieren und feiern bis morgen in der Bonner Rheinaue. Rudolf Scharping entbot seine artigen Grüße, und die SPD spendete Geld  ■ Aus Bonn Bernd Neubacher

Die Revolution hat gesiegt. Aus aller Welt sind die Menschen zusammengekommen, sie sitzen in Zelten beieinander und debattieren über „Solarenergie – die einzige sozialistische Energiequelle“, die Entschuldung unterentwickelter Staaten oder die Frage „Eine Welt – ein Sozialismus?“. Hat der Sozialismus weltweit gesiegt?

Nicht ganz, noch ignorieren rund zweihundert Staaten die neuen Verhältnisse in der Bundesrepublik. In der gesamten Bundesrepublik? Nicht ganz. Vorerst beschränkt sich das vom Kapitalismus befreite Gebiet auf die Rheinaue vor den Toren Bonns, wo unter dem Motto „Die Macht der Solidarität“ seit vergangenem Montag das „World Festival“ der International Union of Socialist Youth (IUSY) stattfindet. Der Verband versteht sich als „weltweit größte politische Jugendorganisation“. Weltumfassend hatte sich zumindest die Eröffnungsfeier am Montag abend präsentiert: Zu den Klängen der Internationale waren Jungsozialisten aus 117 Staaten fahnenschwenkend ins große Festzelt marschiert.

Zuvor waren über der Rheinaue bereits die Klänge von PUR, der musikgewordenen Sozialdemokratie, erschallt, und Rudolf Scharping hatte im Namen seiner Partei, der politikgewordenen PUR, „ein großes, ein wichtiges Festival“ versprochen, „das ein Signal sein wird für die Jugend in Deutschland, für die Jugend in Europa“. Die Festivalzeitung umschreibt das Ziel des sechstägigen Treffens: „Eine Menge Ideen, Motivation und Erfahrungen, so daß wir in ein paar Jahren sagen können, wir haben wirklich eine bessere Welt geschaffen. Und gelernt haben wir das auf dem IUSY-Festival!!“

Der Workshop „Was soll passieren nach der Revolution?“ hat gestern ausfallen müssen. Den übrigen Aktivitäten setzt der Bonner Landregen zu. „Ist Frieden möglich?“ fragt Workshop 2.16. Ja, in Zelt zehn, lautet die Antwort, denn dort hat sich kein Mensch eingefunden, um dieses Problem zu erörtern. Viele Jugendliche sind rheinaufwärts gefahren zu einer Friedensaktion an der Brücke von Remagen oder haben sich für einen der diversen Ausflüge, etwa ins Ruhrgebiet, angemeldet. In diesen Tagen können die JungsozialistInnen außerdem an einem 10-Kilometer-Friedenslauf teilnehmen, eine Hauswand mit einem Weltpanorama „The Power of Solidarity“ bemalen oder die Bonner Thomasstraße in Rabinstraße umbenennen und dort für „Frieden in Nahost“ demonstrieren. „Das ist mehr so Leute kennenlernen und Spaß haben“, beschreibt Steve Stolzenberg, 14, Mitglied der Falken aus dem schleswig-holsteinischen Norderstedt, den Geist in der Rheinaue.

Zeina Mezhen, eine junge Frau aus dem Südlibanon, betont hingegen den politischen Gedanken der Zusammenkunft: „Ich glaube an den Sozialismus, an die Jugend und ihre Kraft, eine bessere Welt zu erschaffen. Hier können wir andere Kulturen kennenlernen, deren Vorzüge und unsere Defizite erkennen, um beides zu etwas Besserem zu kombinieren.“ Sich austauschen möchte auch Salma Boulahi, die mit Freunden aus der West-Sahara angereist ist: „Wir sehen hier, was in Europa und Amerika los ist. Und das ist für uns sehr wichtig.“ „Sehr zufrieden“ mit dem Festival sind sie alle drei. „1968“, erklärt Juso-Chefin Andrea Nahles, „sind die Leute sowohl wegen ihrer politischen Ansichten als auch wegen des Events auf die Straße gegangen. Heute, zum Beispiel bei der Love Parade, ist das anders. Den kulturellen Raum wollen wir ein Stück weit zurückerobern.“

Abends gibt es daher Konzerte mit dem israelischen Rocker Aviv Geffen, den HipHoppern Jazzkantine und dem Retropopper Bob Geldof. Tagsüber referieren Experten über das Klimabündnis der Städte, die Lage in Ruanda oder über fairen Welthandel. Die Mischung kommt offenbar an. 4.500 Menschen sind zur 14. Jugendkundgebung des internationalen Verbandes gekommen, das sind 1.000 mehr, als die Veranstalter nach eigenen Angaben erwartet hatten.

Viele Jugendliche tragen auf ihrem T-Shirt Slogans wie „Free Tibet“ und „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ übers Gelände. Nahles spricht vom „größten IUSY-Festival seit den Sechzigern“. Zwar müssen die Veranstalter auf Jassir Arafat und Shimon Peres verzichten, die sie zunächst angekündigt hatten. Dafür aber läßt die SPD 400.000 Mark für das zwei Millionen Mark teure Festival springen.

Um Gesinnungsgenossen, etwa aus Angola, die Reise nach Bonn zu ermöglichen, zahlen die Teilnehmenden aus den westlichen Industriestaaten rund 300 Mark mehr.

Am Samstag will der internationalistische Nachwuchs seine Forderungen zu Menschenrechten, Entwicklung und Ökologie in einem „Bonner Manifest“ bündeln. Danach wird nochmals die Internationale erklingen.