■ Interview mit Eduardo Galeano zum internationalen Zapatista-Kongreß in Chiapas und dem Wandel der Linken
: Keine revolutionären Statuen mehr

taz: Tausende von Menschen aus über vierzig Ländern der Welt sind zur intergalaktischen Allianz „gegen den Neoliberalismus“ ins entlegene Chiapas gereist. Was ist Ihr Eindruck von dieser wundersamen Inszenierung der Zapatisten?

Eduardo Galeano: Mein erster Eindruck ist, daß es hier wie beim Turmbau zu Babel zugeht: alle Sprachen der Welt werden gleichzeitig gesprochen. Und all diesen Sprachen sind ein paar Worte gemein, Worte wie Gerechtigkeit, Solidarität oder Identität, aber auch algeria, Fröhlichkeit. Natürlich klingen einige dieser Worte sehr abgenutzt und diskreditiert, viel Schindluder ist mit ihnen getrieben worden, oder sie werden am Ende des 20. Jahrhunderts schlicht und einfach nicht mehr gebraucht.

Zum Beispiel Gerechtigkeit: Vor noch nicht allzu langer Zeit galt die Armut, und nicht nur unter Linken, noch als Ergebnis von Ungerechtigkeit. In den letzten Jahrzehnten aber sind die Dinge so sehr nach hinten losgegangen, daß Armut heute nur noch als logische Strafe für Ineffizienz erscheint. Treffen wie dieses bedeuten eine Wiedereroberung dieser Begriffe, die alle etwas mit Würde zu tun haben.

Und dabei stört es nicht, daß die meisten hier unter Begriffen wie Demokratie, Würde oder Menschlichkeit ganz unterschiedliche Dinge verstehen?

Wenn alle auf Anhieb das gleiche verstehen würden, das wäre ja nicht zum Aushalten. Das beste an diesem neuen Stimmenkonzert ist doch gerade, daß es sich um eine vielfältige, diverse und widersprüchliche Stimme handelt. Und das ist der Beweis, daß es tatsächlich eine lebendige Stimme ist. Es gibt ja Leute, die sagen, was hat ein Indio aus Chiapas schon mit einem Bewohner von São Paulo gemein? Aber eben diese Diversität ist gerade unser kostbarstes Gut. Es geht also auch um den Respekt vor dem Anderssein. Die Welt ist heute ja nicht nur ungerechter und ungleicher, sie ist auch noch nie so gleichmacherisch gewesen wie heute, so sehr darauf bedacht, die kulturellen Differenzen auszulöschen.

Also sind die Zapatisten tatsächlich auf dem besten Weg, mit autoritären Schemata der traditionellen Linken zu brechen und etwas Neues ins Leben zu rufen?

Nun ja, nicht erst die Zapatisten, sie selber haben ja, wenn auch sehr geschickt, die Ansätze anderer revolutionärer Prozesse und Bewegungen aus den letzten Jahren aufgegriffen, bei denen die Muster der traditionellen Linken in Frage gestellt wurden. Die europäisch inspirierte Linke war ja früher, zumindest in Lateinamerika, von dieser Idee geprägt, daß die Revolution etwas sei, was das Volk erretten würde. Das war die messianische Vision von Revolution, die noch von der Aufklärung herrührt und auf diesem alten Schema von Zivilisation und Barbarei aufbaut. Danach bestand die Mission der revolutionären Intellektuellen ja stets darin, die ignoranten Massen mit den Lichtern der Zivilisation zu erleuchten und auf diese Weise von der Dummheit zu erlösen. Die Aufständischen von Chiapas schlagen ja nun genau den umgekehrten Weg vor: Die Wahrheit kommt für sie gerade nicht von außen und oben, sondern von unten.

Wäre das ein Modell für eine Renaissance linker Bewegungen in Lateinamerika und anderswo?

Nein, wir haben ja genug ziemlich traurige Erfahrungen mit allen Arten von Modellen gemacht. Kein Prozeß kann einfach so auf andere Länder übertragen werden.

Aber sehen Sie nicht die Gefahr, daß gerade in diesen Zeiten großer Verunsicherung viele in den Zapatisten doch wieder eine Art Vorbild suchen, auch wenn diese das gar nicht anstreben?

Ja, natürlich, das ist diese Sehnsucht nach einem Katechismus, die viele von uns immer noch in sich tragen. Ich selbst bin katholisch erzogen worden, und so ein Rest von Nostalgie nach einem Katechismus bleibt ja doch immer übrig. Aber das Leben ist schließlich ein Abenteuer, und wir müssen uns die Freiheit nehmen, selber zu denken. All das allerdings auf der Grundlage einer einzigen, grundlegenden Gewißheit: daß die Welt, so wie sie ist, nicht funktioniert. Daß wir nicht länger auf den Altären einer dominanten Kultur opfern wollen, die Preise mit Werten verwechseln und Menschen wie Länder weltweit in Waren verwandeln.

Dieser neoliberalen Logik soll, so steht im zapatistischen Aufruf zu lesen, „eine weltweite Alternative“ entgegengesetzt werden. Ist das machbar?

Nun, erst mal wollen wir über Alternativen reden. Allerdings nicht mehr mit der Absicht, dabei irgendwelche Rezepte zu formulieren. Diese Simplifizierung hat bislang immer katastrophale Folgen gehabt, weil die Wirklichkeit ja glücklicherweise immer viel komplexer und mysteriöser ist als die Schemata, die sie zu fassen vorgeben. Denn die hält ja nicht still: Gerade, wenn man sie zu greifen glaubt, entwischt sie wieder. Wichtig ist nur, gemeinsam nachzudenken. Der Aufruf kommt schließlich von Leuten, die seit Jahrtausenden die Tradition haben, zusammen zu träumen. Nur diese Fähigkeit hat ja einige der indigenen Kulturen vor dem Untergang gerettet.

Der zapatistische Funke scheint also übergesprungen zu sein...

Ja, zu einem Zeitpunkt, wo niemand einen Pfifferling mehr für revolutionäre Bewegungen gegeben hätte, entsteht plötzlich so etwas unglaublich Ansteckendes. Das hat natürlich viel mit Sprache zu tun. Ohne Personenkult betreiben zu wollen, die EZLN hat in Marcos einen großartigen Sprecher gefunden. Er verbindet das Wissen um die lokalen Realitäten mit einer gewissen revolutionären Überzeugung – vor allem aber mit diesem Sinn für Humor. Es ist eine Sprache, die sich über sich selber lustig macht, fernab dieser sturen Ernsthaftigkeit der traditionellen Linken. Keine Statuen aus Bronze und Marmor mehr, höchstens noch aus Mais und Schokolade. Wie er selber mal gesagt hat: Wenn es darum geht, eine neue Welt zu schaffen, dann ist das eine dermaßen ernsthafte Angelegenheit, daß wir dabei werden lachen müssen. Wenn nicht, dann wird's doch wieder eine sehr quadratische Welt, und eine quadratische Welt dreht sich nun mal nicht so richtig. Interview: Anne Huffschmid